Intime Geständnisse

Vor 60 Jahren ist der Kinsey-Report über das sexuelle Verhalten der Frau erschienen – damals ein Skandal, heute im weitesten Sinn wissenschaftliche Weltliteratur. Doch was hatte es mit dem Mann, der sich ursprünglich für die Gallwespe interessierte, auf sich?
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Skandal im Sperrbezirk des guten Benehmens: Auch die Damen gehen fremd.

von Gabriele Kuhn

über den Kinsey-Report.

60 Jahre, ein schönes Alter – auch für einen so genannten Report. Nicht irgendeiner, freilich – es geht um den Geburtstag des Kinsey-Reports über das sexuelle Verhalten der Frau. 1953 wurde das skandalöse Werk in den USA veröffentlicht, als Garant für weltweite Schlagzeilen. Auch, weil es mit so manchem Klischee zur weiblichen Sexualität aufräumte. Skandal im Sperrbezirk des guten Benehmens: Auch die Damen gehen fremd.

Heute lächeln wir darüber, schauen Mad Men und wissen, dass die menschliche Seele ein gar unergründlicher und recht tiefer See ist. 1948, also fünf Jahre bevor die Frauen dran waren, hatte Kinsey ja schon den Trip in den männlichen Schambereich gewagt und mit seinen Enthüllungen zu Onanie & Co einen Skandal ausgelöst. Das 804 Seiten starke Buch schlug Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ und schockte Amerikas Konservative. Kinseys Forschergeist war so groß, heißt es, dass er 2000 Männer vor Kameras masturbieren ließ. Kein You Porn für sie, sondern pures Interesse an der Performance von Sperma. Alles, was ein Insektenforscher eben so wissen möchte.

Womit wir bei Alfreds Brotberuf gelandet wären. Er war weder Spanner noch Pornoproduzent, Kinsey war Zoologie-Professor an der Indiana-Universität mit Forschungsfokus Ornithologie und Gallwespen (und bis zu seinem 27. Lebensjahr „Jungfrau“). Übrigens hat er bereits 1926 sein erstes Einführungswerk vorgelegt: „Die Einführung in die Biologie“ geriet mit 440.000 verkauften Exemplaren zum Bestseller. Es kursiert folgende Anekdote über Kinsey: 1938 fragte er eine Studentin im Hörsaal: „Welches Organ kann sich in Sekunden auf das über Hundertfache vergrößern?“ Die entgegnete geniert: „Herr Professor, ich bin gerade erst verlobt.“ Kinsey daraufhin: „Ich spreche von der menschlichen Iris. Sie werden einmal sehr enttäuscht sein.“

Damit das auf keinen Fall passiert, führte Herr Professor 27 Jahre später nicht noch weiter in die Vogelkunde, sondern in die Frauen ein. Dafür wurden 6.000 weibliche Personen eindringlich befragt. Hausfrauen wie „Revuegirls oder Bankiersgattinnen. Jedes Interview dauerte drei Stunden – 325 Fragen waren abzuarbeiten, Kinsey schrieb akribisch mit.

In einer Spiegel-Reportage über seine Arbeit aus dem Jahr 1950 hieß es: „Immer wieder musste Kinsey feststellen, „Es ist erstaunlich, mit welcher Leichtigkeit man von jedem Menschen eine ausführliche Beschreibung seiner erotischen Intimitäten bekommen kann.“ Das rege Interesse der Damen, sich intim zu outen, schien groß. In der Reportage wurde nämlich auch beschrieben, dass sich die Frauen Kinsey an den Hals warfen – „als Mischung aus Beichtvater und Casanova“. „Er bekam Postanträge, die man frank und frei als unsittlich bezeichnen könnte, Frauenschwärme belagerten Hotelhallen“, heißt es. Die Diagnose des Herrn Professors lautete „exhibitionistische Symptome“.

Nur so und für Interessierte: Einzelexemplare gibt es im Online-Handel noch zu kaufen. Ich habe zwei entdeckt – eines mit „leichten Gebrauchsspuren“, das andere mit „deutlichen Gebrauchsspuren“. Ein Schelm, wer da ähnliches vermutet wie ich.

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