Hauptsache Geil
Jeder, der heute etwas über Sex wissen möchte oder kurz einmal Lust auf eine Schweinerei hat, kann googeln. Man gibt „Titten“ ein (11,5 Millionen Treffer) oder „Blowjob“ (183 Millionen Treffer, nur auf Deutsch) und befindet sich mitten im Fleischberg. Gratis, vor allem aber: für jeden zugänglich. Denn die einzige Hürde, die der geneigte Mensch überwinden muss, sind zwei Buttons: – Ja, ich bin schon 18 Jahre alt. – Nein, ich bin noch nicht 18 Jahre alt. Eine Alibiaktion – Button 2, das ist der für die ganz Depperten. Doch meistens braucht’s das erst gar nicht und man landet pronto im Pornoparadies. Da sind dann im Filmchen-Fall auf briefmarkengroßen Previews herangezoomte Geschlechtsteile, Brüste und Hintern. Einmal aufs Pfeilchen gedrückt, kommen sie, die bewegten Bilder. Gesichter? Eher selten. Und wenn, dann mit irgendwas im Mund drin. Verschwurbelt oder allenfalls in eine romantisierte Handlung gebettet wird da eher nichts mehr, alles ist direkt, radikal, explizit. Und zielgruppenorientiert, es gibt Spartengruppen für alle Neigungen. Von „Forced“ (erzwungener Sex) bis „Mature“ (Sex mit reifen Damen), von „Japanese“ (Sex mit Asiatinnen) bis „Gangbang“ (1 Dame, ganz viele Herren). Wer sich noch an die verträumten „Sexfilmchen“ aus den 1970ern erinnert, kann da nur lachen. Heute ist alles mega. Die Ejakulation genauso wie das Brust- oder Schwanzstück. Was das macht? Ganz schön Spaß, sagen jene, die sich der Bilder zwecks Alleinunterhaltung bedienen. Vor allem Sorge, sagen jene, die fürchten, dass junge Menschen auf diese Weise sexuell sozialisiert werden. Wie etwa der Sexualwissenschaftler Christoph Joseph Ahlers, der sich in seinem neuen Buch „Himmel auf Erden, Hölle im Kopf“ Gedanken zum Thema macht. Via Internet sei es auch für Kinder und Jugendliche möglich, Pornos unbeschränkt zu konsumieren. Und das hätte zur Folge, dass sich das sexuelle Drehbuch radikal ändert. „Mir scheint, dass junge Männer, etwa ab dem Geburtsjahr 1990, ihr sexuelles Skript häufiger über den Konsum von multimedialer Internetpornografie erworben haben als über sexuelle Selbst- und Realerfahrungen“, schreibt Ahlers. Statt wirklicher Begegnungen oder erster Kussfreundschaften und daraus resultierender eigener Fantasien, herrscht kalte Gangbang-Stimmung. Und, damit verknüpft, die Überzeugung, jede Frau würde sich erniedrigen lassen und dafür noch wimmernd danke sagen. Oder aber „Mach’s mir, du Schwein.“ In einem Interview mit dem Magazin „Wege“ erwähnt Ahlers ein damit verknüpftes Phänomen: „Porno Posing“, das Nachturnen sexueller Choreografien aus dem Internet. Motto: So geht das! Und das natürlich „leistungsoptimiert“ – je mehr Stellungen ich bringen kann, desto cooler bin ich. Was dabei fehlt, laut Ahlers: das Wesentliche. Jene Zutaten, die eine sexuelle Begegnung erst zu einer Begegnung machen: Anschauen, Zuhören, Hinfühlen. Stattdessen wir agiert. Und getan, was – laut vorgegebenen Bildern – getan „werden muss“. Ein beziehungsloses auf die reine Erregung reduziertes Runterturnen von „Sex-Must-Haves“. Hauptsache, gefickt. Das kann man schon einmal so handhaben – aber ganz schön traurig wird’s, wenn das alles ist. Und womöglich so bleibt.
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