Fremdenverkehr
Menschen mögen so genannte "Sex-Surveys". In diesen Umfragen wird erhoben, wie oft und auf welche Art in diversen Nationen dieser Welt gevögelt wird. Also, ob die Irin gerne in der Reiterstellung kommt, der Italiener auf Oralsex abfährt oder Belgier häufiger als andere Swingerclubs bemühen.
Natürlich geht es hier auch um den Schlüsselloch-Effekt – man bekommt unter dem Emblem der Wissenschaft voyeuristischen Einblick in die Intimsphäre fremder Menschen und Völker. Einblicke, die so kaum möglich wären – man kann ja in Brüssel, Paris, Athen oder Rom schlecht herumtouren und an Schlafzimmertüren klopfen: "Hallihallo, ich bin interessiert an eurem Fremdenverkehr. Also macht mal!" Eine Möglichkeit wäre es, Einheimische höchstpersönlich auszuprobieren. Doch erstens ist das ein aufwendiges Unternehmen. Und zweitens wohl kaum authentisch genug. Dann doch lieber im Survey stöbern.
Umso interessanter sind deshalb Urlaubsreisen. Wenn ich an einem Ort verweile, wo sich nicht nur Deutsche, Schweizer und Österreicher tummeln, frage ich mich nicht nur (aber auch) aus professionellen Gründen (und mich der Details aus Sex-Surveys entsinnend), ob und was genau in den benachbarten Resort-Zimmern so laufen könnte. Man beginnt genauer hinzusehen: Ist die mittelalterliche Russin mit leichtem Hang zu schwer ordinären Outfits so geil, wie sie aussieht? Demnach müsste ihr Mann glücklicher wirken und befriedigter. Tut er aber nicht. Was er tut: Telefonieren. Telefonieren. Telefonieren. Und dabei rauchen. Rauchen. Rauchen. Ich surfe in Gedanken zum Sex-Survey, habe aber leider die Russen-Details vergessen. Blöd. Also frage ich meinen Mann: Was glaubst du, treiben die es noch, und wenn ja wie? Er aber sagt, die Russen seien ihm völlig egal und vertieft sich in ein Buch über griechische Philosophen. Ich beginne zu spekulieren, dass die Russin einen vergoldeten Vibrator mit sich führt. Beim Frühstück saugt sie an Melonen. Er bestellt Russisches Ei.
Aber ich habe auch andere Paare im Visier: Ein Mann sieht aus wie ein französischer Problemfilmdarsteller, entpuppt sich aber als Kroate auf Urlaub in Kroatien. Aber leider, von Kroaten ist nichts in dem Survey gestanden. Er trägt einen Ring am kleinen Finger, es ist kein Ehering. Seine Frau sieht aus, als hätte sie schon lange keinen Geschlechtsverkehr mehr. Ein Vorurteil, sagt mein Über-Ich – nur, weil sie schmallippig ist und so schaut als hätte sie eine Qualle erwischt? Der Mann wiederum sieht aus, als würde er beim Höhepunkt grunzen. Sie nicht. Sie sieht aus, als würde sie beim Höhepunkt an die Decke starren. Wie es wohl wirklich ist? Ich bedaure mittlerweile zutiefst, den Sex-Survey nicht im Reisegepäck mitgeführt zu haben. Ein Fehler. Denn nachts höre ich plötzlich aus dem Zimmer nebenan einen Mix aus Stöhnen, Kichern und Jodeln. Ich frage das Zimmermädchen, woher die Leute da drüben kommen: "Austria", sagt sie. Im Sex-Survey stand – so weit ich mich erinnern kann – nicht, dass Österreicher beim Verkehr gleichzeitig lachen, stöhnen und jodeln. Das Mysterium des Geschlechtsverkehrs passt wohl nicht in die Statistik. Bei genauerer Betrachtung muss ich sagen: gut so.
gabriele.kuhn(at)kurier.at
Kommentare