Es war einmal...

Wenn sich Paare an früher erinnern, dann meist an die erste Wohnung, den ersten Urlaub, das erste Kind. Der erste Sex? Der firmiert irgendwann als verblichener Prolog zum Epos „Unser Sexualleben“. Ein Videoprojekt zeigt nun, wie inspirierend es sein kann, wenn sich Paare erinnern – an ihr erstes und ihr letztes Mal.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Die Magie des ersten Moments, dieses Wollen am Punkt ohne Widerruf.

von Gabriele Kuhn

über Sex mit Robotern

Und zack: große Gefühle. Im Herzen, im Bauch – und südlich davon. Tage werden zu Nächten, Nächte zu Orgien. Zwei vögeln sich durch Raum und Zeit – denn jedem Anfang wohnt viel Geilheit inne. Wie großartig Sex sein kann, wenn alles beginnt, ist hinlänglich bekannt. Das ist der Reiz und der Stoff aus dem Geschichten, Filme, Songs und Fantasien gestrickt sind. „The First Time Ever I Saw Your Face“. Oh, fuck, ist das nicht verdammt lange her? Zwanzig Jahre später versucht man sich ein wenig zu erinnern. Da war doch was. Aber was?

Finde den Unterschied

Im Laufe der Jahre verschwimmen all die vielen geilen Nummern zum sogenannten „Sexualleben“. Das klingt wie eine Diagnose, die jeder anders interpretiert. Für manche reicht dafür schon ein Sonntags-Löffelchen, andere brauchen zum Leben das tägliche Koitus-Plus. Ob da oder dort – von der Magie des ersten Vögelns ist naturgemäß nicht mehr viel zu spüren. Man hat sich’s eingerichtet, kennt den anderen in- und auswendig, weiß, welche Knöpfe funktionieren. Und welche nicht. Der Lebensmensch duftet immer ähnlich, schmeckt immer gleich, stöhnt wie gestern und vorgestern, und kommt so wie immer. Überraschungen? Nur mehr in Form von Party oder Ei. Es bedeutet trotzdem nicht zwingend, dass der Sex deshalb schlecht sein muss. Ja, er verändert sich, transponiert sich in eine andere Dimension der Vertrautheit und Verlässlichkeit. Auch, wenn es oft heißt, dass gerade diese zwei Vs die schlimmsten Feinde der Lust sind – wir brauchen sie, um Intimität erleben zu können. Umso schöner kann es sein, sich an das unvertraute „erste Mal“ mit diesem, seinem Lebenspartner zu erinnern. Wieder und wieder. Diese eine Mal, bei dem ein Mann und eine Frau einander die Kleider im Vorzimmer vom Leib fetzten und sie stöhnte: „Leise, die Nachbarn!“ Dieser eine Nachmittag auf der fetten, sonnensatten Wiese, als es plötzlich zu regnen begann, und dicke Tropfen auf seinen Hintern platschten. Dieser eine Morgen, an dem das Bett zusammenkrachte. Dieser eine Sonnenuntergang am Meer, an dem der Sand nicht nur in den Schuhen landete.

Ein wunderbares Projekt dazu lief unlängst auf dem YouTube-Kanal „WatchCut-Video“. Darin sprachen Paare über ihr erstes Mal mit ihrem Partner – um sich gleichzeitig an den letzten Akt zu erinnern. Die Idee: Finde den Unterschied – damals versus heute. Menschen, die seit vielen Jahren verheiratet waren, sprechen ebenso offen darüber, wie Paare, die gerade ihr erstes Kind erwarten oder die Hochzeit planen. Dabei wird offensichtlich, wie Frauen und Männer von ersten vagen, verschämten Erinnerungen in eine Art „gefühlte Vergangenheit“ eintauchen – liebevoll, wehmütig, sehnsüchtig. Was war, wird wieder greifbar und plastisch. Das ist gut, sehr gut sogar – denn möglicherweise gelingt es auf diese Weise, sich noch einmal etwas herzuholen, was verloren schien. Die Magie des ersten Moments, der Augenblick maximaler Anziehungskraft, dieses Wollen am Punkt ohne Widerruf. Daher: Denken Sie nach, erinnern Sie sich, tauchen Sie ein: Wie war Ihr erstes Mal mit Ihrem Lebenspartner? Wie ist es jetzt? Und nicht zuletzt: Wie könnte es gehen, dass das Jetzt wieder mehr zum Damals wird. Ein bisschen zumindest. Und: Nicht immer, aber immer öfter.

gabriele.kuhn@kurier.at

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