"Tetsch'n"-Sager: Autorität mit Herz und Hirn
Dass Kärntens FPK-Parteichef Uwe Scheuch die "klane Tetsch’n" in der Causa "Lehrerdienstrecht" favorisiert, kommentiert KURIER-Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger als "absoluten Tiefpunkt und Bankrotterklärung in der Bildungsdiskussion": "Hier wird das alte Denkmodell des Strafens und Ahndens hervorgekramt. Das fördert nur all die verdeckt autoritären Erziehungsmodelle, die in unserer Gesellschaft immer noch vorhanden sind." Kontraproduktiver geht’s kaum: "Sanktionen – egal welcher Art – sind keine Grundlage für eine positive Persönlichkeitsentwicklung, die auf Einsicht und Lernen basiert."
Handlungsbedarf
Doch wo bleiben brauchbare Konzepte für ohnmächtige Lehrer und Eltern? Leibovici-Mühlberger ortet hier dringenden Handlungsbedarf – ganz speziell in der Ausbildung angehender Pädagogen: "Da sind klare Maßnahmenkataloge und Trainings gefragt – sowohl für Lehrer als auch für Schüler."
Paul Kimberger – Chef der Pflichtschullehrergewerkschaft – er forderte im November vergangenen Jahres u.a. das Aussetzen der Familienbeihilfe bei unkooperativen Eltern von Problemschülern – schlägt in eine ähnliche Kerbe: "Scheuchs Vorschlag ist indiskutabel, ein Rückfall in längst vergangene Zeiten. Was wir brauchen ist ein modernes Regelwerk." Im Rahmen neuer Ausbildungen solle stark auf Fragen der Verantwortung des Lehrpersonals eingegangen werden. Es seien aber alle aufgerufen – auch die Eltern. Zudem würden dringend mehr Sozialarbeiter und Psychologen benötigt. Im Optimalfall wären dies, um auf den Schnitt von Finnland zu kommen, 14.000 Spezialisten. "Doch Österreich liegt hier europaweit weit hinten."
Der ehemalige AHS-Direktor Erwin Greiner will ebenfalls den Hebel bei der Lehrerausbildung angesetzt wissen, wobei es gesellschaftliche Probleme gibt, die in dem Rahmen nicht erfasst werden könnten: "Dafür ist eine fundierte Ausbildung nötig – wie sie nur Psychologen oder Therapeuten haben."
Best Practice
Dass es – jenseits von kollektiven Strafen, subtiler Machtausübung und demütigenden Maßnahmen – an Schulen auch anders zugehen kann, weiß KURIER-Family-Coach Leibovici-Mühlberger. Sie kennt weltweit zahlreiche Best-Practice-Beispiele aus den USA, Norwegen, Russland. Sie nennt zum Beispiel das "ART-Training" – Anti-Aggressions-Training. Es wird sogar bei straffälligen Jugendlichen erfolgreich eingesetzt. Im normalen Schulalltag angewandt, lernen Kinder schon früh soziale Fertigkeiten – und ihre Wut zu kontrollieren. Ziel sei zudem die Förderung moralischen Denkens. Die Jugendlichen lernen, sich in andere einzufühlen – aber auch, auf Situationen angemessen zu reagieren.
Stärke statt Macht – darum geht es Haim Omer, einem Psychologieprofessor an der Universität Tel Aviv. Seine Coachings für Eltern und Schulpersonal basieren auf der Philosophie von Präsenz – nachzulesen in den Büchern " Autorität ohne Gewalt" oder "Autorität durch Beziehung". Die wesentlichen Grundsätze: Erziehung bedeutet Handeln statt Reden, Kinder brauchen Aufsicht – Gewaltverzicht ist oberstes Gebot und stärkste Message. Folglich haben Abwertungen, Runtermachen und hysterisches Problematisieren keinen Platz. Sachlichkeit zählt – Leibovici-Mühlberger: "Als Autorität setze ich klare Spielregeln und Grenzen – und das mit dem Gewicht meiner ganzen Führungskompetenz."
Nachgefragt: "Versuchen, die Emotionen herunterzufahren"
Dr. Luise Hollerer leitet die Fachsektion "Pädagogische Psychologie" im Berufsverband der PsychologInnen Österreichs (BOEP).
KURIER: Was sagt eine Psychologin, wenn jemand für "Tetsch’n" in der Schule ist?
Luise Hollerer: Dass daran absolut nichts gesund ist und Gewalt nicht zu einer Erweiterung von Kompetenzen, sondern nur zu einer Einengung beiträgt. In einer emotionalen Situation muss versucht werden, die Emotionen herunterzufahren. Gewalt heizt sie nur weiter an und führt zu einem Flucht-Angriffs-Verhalten, das einer sozialen Umgebung wie einer Klasse nicht angemessen ist. Vor jeder pädagogischen Vermittlungsaufgabe steht die Regulation der Emotionen: Schüler können sich nur mit einem Stoff befassen, wenn sie in einem emotional ausgeglichenen Zustand sind. Pädagogen benötigen eine sehr gute psychologische Schulung: Sie müssen erkennen, wann bei ihnen selbst die Gefahr einer Überreaktion droht – und sie müssen dies bei ihren Schülern erkennen.
Sind Pädagogen dafür ausreichend ausgebildet?
Vor allem bei den an den Universitäten ausgebildeten Lehrern gibt es so gut wie keine Anleitungen, wie mit solchen sozialen Spannungen umzugehen ist. Bei der Ausbildung der Pflichtschullehrer ist das in stärkerem Ausmaß enthalten. Aber darüber hinaus wäre es wichtig, dass es mehr Supervision (eine auf die Arbeitssituation bezogene Beratung; Anm.) und Coaching in der Gruppe durch Psychologen gibt: Sind Pädagogen hingegen nur als Einzelkämpfer unterwegs, ist die Gefahr viel größer, dass es zu Überreaktionen kommt.
Woran liegt es, dass Probleme mit verhaltensauffälligen Schülern zunehmen?
Viele Kinder haben heute bei Schuleintritt wenig Kompetenzen im Umgang mit ihren Emotionen. Das hat vielfache Gründe: Häufig wird ihnen zu Hause weder zugemutet noch zugetraut, mit ihren emotionalen Spannungen umzugehen. Vielmehr wird sehr rasch auf ihre Wünsche eingegangen. Wenn ein Kind heute Hunger oder Durst hat, muss es nicht mehr warten, bis es zu Hause ist: Das Bedürfnis wird oft sofort mit Fast-Food am nächsten Straßeneck gestillt. Dadurch lernt das Kind aber nicht, mit emotionalen Spannungen umzugehen. Gerade das benötigt aber viel Übung. Diesen Entwicklungsauftrag muss dann die Schule übernehmen.
Was halten Sie von der Forderung von Lehrern nach mehr Durchgriffsrechten?
Ich glaube, es geht nicht so sehr um mehr Rechte. Was uns fehlt ist, dass sich ganz gezielt in einer Schule alle Beteiligten zusammensetzen und überlegen, wie sie unter einem Dach zusammenleben und miteinander umgehen wollen. Es muss demokratische, aber klare und bestimmte Regeln geben, was erlaubt ist und was nicht. Oft geforderte Time-Out-Klassen (verhaltensauffällige Schüler werden aus ihrer Klasse herausgenommen, Anm.) oder andere Maßnahmen sind nur dann sinnvoll, wenn sie von Experten wie Psychologen begleitet werden. Das muss alles gut wissenschaftlich konzipiert sein. Nur mit dem Finger zu schnippen reicht nicht aus.
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