Ideenfeuerwerk für bessere Schulen
KURIER: Seit Jahren wird über Schulen diskutiert. Doch es bewegt sich nichts. Was läuft schief ?
Niki Glattauer: Die Diskussion geht an der Mehrzahl der Schulen vorbei – den Pflichtschulen. Denn alle Politiker, die über Schulreformen zu befinden haben, kommen aus den Gymnasien und argumentieren aus ihrer Erfahrung heraus. Das Gleiche gilt für die Eltern, die sich zu Wort melden. Die vertreten vor allem Gymnasiasten.
Aus Hauptschulen kommen viele Schüler, die nicht lesen und rechnen können.
Sie sind die Problemzonen – besonders in der Stadt, aber nicht nur dort. Seit meinen Lesungen auf dem Land weiß ich, dass es dort die gleichen Probleme gibt. Nur sind die dort nicht so offensichtlich, wo noch mehr Gehorsam herrscht. Doch egal, wo die Schule steht – auf dem Land oder in der Stadt: Ein Hauptschüler hat kaum Chancen, Matura zu machen. Es sind übrigens vor allem die AHS-Lehrervertreter, die sich jeglicher Reform verweigern. Deshalb finde ich es in Ordnung, wenn Bildungsministerin Claudia Schmied Reformverweigerung nicht noch zusätzlich finanziell unterstützt.
Würden Sie die Neue Mittelschule als Reform bezeichnen?
Sie ist ein schlechter Kompromiss. Die Reform, die die Ministerin eigentlich wollte, bekommt sie wegen des Widerstands der AHS-Lehrer nicht durch. Dabei kommen sowohl Hauptschul- als auch AHS-Lehrerinnen jetzt darauf, dass es so nicht weitergehen kann. Viele Konservative springen deshalb auf den Zug auf und wollen die gemeinsame Schule. Zuletzt etwa der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter.
Sind Sie sich sicher, dass die gemeinsame Schule dazu führt, dass alle Schüler ein höheres Niveau erreichen?
Als einer von mehreren Faktoren. Schauen Sie nach Finnland.
Finnland hat eine andere Sozialstruktur und bessere Lehrer.
Lehrer haben eine Symptomfunktion. In einem kranken System ist es schwieriger, gute Arbeit zu machen. Würde sich das System verbessern, ginge ein Schwung durch die Lehrerschaft – und alle wären zufriedener: Lehrer, Schüler, Eltern. Derzeit ist die Schule der Grund für 70 Prozent aller Streitigkeiten in der Familie. In Skandinavien sind es 10 Prozent.
Viel Ärger entsteht, weil Eltern mit Kindern lernen müssen. Wäre die Ganztagsschule die Lösung?
Ja, vor allem für die, die sie wirklich brauchen.
Eine gute Schule hat gute Pädagogen – was aber macht gute Lehrer aus?
Der Zugang zum Kind. Darauf müsste bei der Ausbildung mehr Wert gelegt werden. Ein Lehrer muss sich als Partner verstehen. Als Lehrer, der Autorität hat, was kein Widerspruch ist. Seine Aufgabe ist es, ein Kind bis zu einer bestimmten Stufe hinzubringen und zu erkennen, wo die Leistung ist und wie ich diese mit Neigung versehe. Derzeit machen wir es so: Wir vermitteln ein Fach. Der Lehrer schaut dabei immer, was das Kind noch nicht kann. Die Folge ist, dass wir nur auf den Schwächen herumreiten. Wir müssen Stärken fördern – auch solche außerhalb des Fächerkanons. Es gibt 500 Berufe, aber nur sieben, acht Fächer. Da ist es kaum möglich, Stärken herauszufinden.
Aber lesen, schreiben und rechnen sollte jeder können.
Sicher. Doch die jetzige Diskussion ums Lesen und Schreiben halte ich für übertrieben. Nicht nur Kinder, auch viele Erwachsene können nicht rechtschreiben. Schauen Sie: 40 Prozent der österreichischen Postler, die zur Polizei wollten, haben den Deutschtest nicht bestanden. Auch beim Lesen sind nur Mindeststandards wichtig. Aufgabe der Schule ist es, das Interesse am Lesen zu wecken.
Die Klassenlektüre ist oft fad. Das fängt in der Volksschule an, wenn Mädchenbücher gelesen werden, weil sie von Frauen ausgesucht werden. Ist es ein Problem, dass wir viele weibliche Lehrer haben?
Auch. Lehrerinnen bevorzugen unbewusst scheinbar frauliche Eigenschaften: Brav sein, schön schreiben, bunt unterstreichen, nicht raufen, nicht zurückreden – so bekommen solche Mädchen gute Noten. Für den Frontalunterricht ist solch ein Verhalten förderlich. Aber wenn ich anders unterrichte – zum Beispiel, wenn Kinder in Gruppen lernen – fallen die Aufgeweckten nicht negativ auf. Die Schüler bauen sich gegenseitig auf.
Thema Autonomie: Was sollten Schulen am Standort entscheiden können?
Sehr viel. Die Direktorin sollte sich ihren Lehrkörper aussuchen können. Denn sie muss ein Schulklima schaffen – natürlich im Team mit den Kolleginnen. Viele Lehrer sind nur deshalb unglücklich in ihrem Beruf, weil sie am falschen Fleck sitzen. Schicke sie auf eine andere Weide und sie werden besser. Das Gleiche gilt für Schüler: Auch sie sollten sich eine Schule aussuchen dürfen. Wichtig wäre, wenn es in den Klassen eine bessere soziale Durchmischung gäbe. Ich bin gegen einen Anspruch auf die Schule ums Eck.
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