Grüne wollen Aus für Sonderschulen

Helene Jarmer: Die Grüne Behindertensprecherin sieht Sonderschulen als Einbahnstraße im Bildungssystem. Der KURIER führte das Interview mittels Gebärden-Dolmetscherinnen. Im Bild: Das Zeichen für „zeigen“.
"Benachteiligung": Grün-Mandatarin Jarmer drängt darauf, dass behinderte Kinder nicht mehr in eigenen Klassen unterrichtet werden.

Darf ein Mädchen mit Hörgerät wegen seiner Behinderung von einer Schule abgelehnt werden? Nein, findet Helene Jarmer, Behindertensprecherin der Grünen. Die erste gehörlose Parlamentarierin des Landes hat sich (mit Erfolg) für das Mädchen eingesetzt – und will nun eine Reform des Bildungssystems anstoßen.

Einschränkung

Jarmer ortet eine "massive Benachteiligung" von behinderten Menschen wegen der separaten Ausbildung in Sonderschulen. Und so fordert sie: "Sonderschulen sollen in den nächsten fünf Jahren schrittweise abgebaut werden." Behinderte Menschen seien bei der Wahl ihrer Ausbildung extrem eingeschränkt: "In der Praxis ist das System nicht so flexibel, dass man sich einen Bildungsweg aussuchen kann."

27.600 Schüler hatten zuletzt einen sogenannten sonderpädagogischen Förderbedarf, 13.000 davon besuchten eine Sonderschule. Jarmer setzt nun auf "Inklusion statt Integration". Das heißt: Diese behinderten Kinder sollten im normalen Unterricht ausgebildet werden. "Anstelle der Sonderschulen soll es einen individuellen Lehrplan für die Kinder geben."

Dazu sei die pädagogische Ausbildung rasch umzustellen: "Für alle Lehrer sollte es die gleiche Ausbildung geben. Etablierte Lehrer sollten eine Zusatzausbildung für den Umgang mit Menschen mit Behinderung absolvieren." Eine Veränderung im Kopf sei wichtig, befindet Jarmer: "Derzeit kommt es vor, dass manche Schulen bzw. Lehrer keine behinderten Menschen in ihren Klassen aufnehmen wollen." Auch anderweitig sieht Jarmer Handlungsbedarf: Alte Schulgebäude seien nicht voll barrierefrei, es gebe oft zu wenige Förderstunden, Alternativangebote – etwa für Rollstuhlfahrer während der Turnstunden – würden fehlen.

Aktionsplan

Eine Möglichkeit, das zu realisieren, was Jarmer verlangt, wäre der "Nationale Aktionsplan für Menschen mit Behinderung" (NAP); mit diesem wird die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt. Der NAP soll am 24. Juli von der Regierung abgesegnet werden, der Entwurf ist im Jänner vom Sozialministerium zur Begutachtung ausgesendet worden.

Für Jarmer ist das ein Fortschritt: "Damit muss sich jedes Ressort mit dem Thema Behinderung beschäftigen." Freilich gibt es ein Problem: Zusätzliches Geld ist nicht vorhanden. Zudem fehlen der Grün-Mandatarin messbare Zahlen im NAP, ebenso Sanktionen, wenn die Ziele nicht erreicht werden.

Studieren für Gehörlose an Uni bereits möglich

Barrierefreies Studieren für Gehörlose – an den Uni Wiens bis vor zwei Jahren noch keine Selbstverständlichkeit. "Als ich begann zu studieren, war es sehr mühsam; bei der Kommunikation und finanziell", erzählt der gehörlose Wirtschaftsinformatikstudent Alexander Karla-Hager. "Durch GESTU ist es endlich möglich, barrierefrei zu studieren." Die Rede ist vom Projekt "GESTU – Gehörlos erfolgreich studieren an Universitäten in Wien", das im Juni 2010 an der TU Wien eingerichtet worden ist.

Für gehörlose Studierende wurde so der Uni-Alltag wesentlich verbessert. Tutoren und Gebärdensprachdolmetscher helfen den Studenten beispielsweise, die Lehrveranstaltungen zu bewältigen. Derzeit studieren 13 gehörlose Studenten im Rahmen von GESTU – darunter Karla-Hager. "GESTU ist eine sehr schöne Initiative", befindet ÖVP-Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle.

Der "Modellversuch" endete im Juni – die Fortsetzung bis 2015 wurde jedoch bereits fixiert.

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