Vorsprung durch Wissen

Erfahrung ist keine Frage des Alters
Der deutsche Teamchef Löw setzt auf die Informationen seines Schattenteams.

Natürlich ist die EURO auch bei meinen Spielern im Moment das Hauptgesprächsthema, besonders intensiv wird dabei über die Leistungen der deutschen Nationalmannschaft diskutiert.

Dass die Deutschen so ein Turnier generalstabsmäßig planen können, ist bekannt und überrascht niemanden. Das betrifft nicht nur die administrative und logistische Vorbereitung, die auch diesmal wieder gut gelungen ist. Auffallend ist der große Personalaufwand, der betrieben wird – mit Spezialisten, die die Stars im Hintergrund betreuen. Also ein Team hinter dem Team.

Abgesehen vom Trainerteam um Jogi Löw, drei Fitnesstrainern, vier Physiotherapeuten, drei Ärzten und einem Psychologen gehört auch ein dreiköpfiges Scoutingteam dem DFB-Betreuerstab an. Das leitet der 64-jährige Urs Siegenthaler, der nur in den ersten Tagen der EURO krankheitsbedingt fehlte. Der ehemalige Schweizer Erstligaspieler und -trainer arbeitet seit 2005 als Spielbeobachter für den DFB, unterstützt von Studenten der Sporthochschule Köln. Gemeinsam mit seinem Team erarbeitet er Strategien, um die Stärken der Gegner zu bekämpfen. "Viele kennen den Fußball, aber wenige verstehen ihn", sagt Siegenthaler, der von Löw für seine akribischen Analysen hoch geschätzt wird. Seine Arbeit geht viel weiter als die herkömmliche Scoutingtätigkeit, die unter anderem das Verhalten bei Standardsituation, das Spielsystem oder auch den Fitnesszustand der Spieler unter die Lupe nimmt.

Siegenthaler will darüber hinaus Besonderheiten aufspüren. Er beobachtet genau die emotionale Verfassung der Akteure, ihr Verhalten in Stresssituationen. Ihn interessiert, wie sich jeder einzelne Spieler unter Druck verhält, wie sie den Spielaufbau anlegen, wie sie den Ball erobern wollen. Und er beobachtet gegnerische Spieler nicht nur in Länderspielen oder in Ligaspielen, sondern es kommt auch vor, dass er verkleidet – also inkognito – beim Training vorbeischaut. Das beweist mal wieder, dass unsere Lieblingsnachbarn nichts dem Zufall überlassen. Denn die Deutschen wissen: Auf höchstem Niveau entscheiden meist nur Kleinigkeiten.

Bei Rapid versuchen wir – wenn auch mit finanziell bescheidenerem Aufwand als der große DFB – möglichst viele Informationen zu sammeln, um tiefer gehende Schlüsse daraus ziehen zu können. Nach jedem Spiel liefert ein russisches Unternehmen detaillierte Daten über die Leistung jedes einzelnen Spielers.

Das Scouting ist für einen Klub noch komplexer als jenes für Nationalteams. Neben den eigenen Spielern und jenen des Gegners sollten auch potenzielle Verstärkungen zusätzlich zum Videostudium vor Ort beobachtet werden. Vor dem Kauf von Terrence Boyd wurde unser neuer Stürmer zwei Mal von meinem Assistenten Thomas Hickersberger und einmal von mir bei den Dortmund-Amateuren beobachtet.

Fußballerische Qualität ist aber nicht alles. Es ist auch wichtig, Informationen über das soziale Verhalten eines Spielers zu bekommen. Beim US-Teamspieler Boyd gab es mit Andreas Herzog, der ja als Assistenztrainer des Teams der USA arbeitet, ein verlässliche Quelle.

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