Golden Girls

Natascha Marakovits

Natascha Marakovits

Wie die Hennen auf der Stange saßen sie dann da und beobachteten die Straße...

von Mag. Natascha Marakovits

über Klatsch und Tratsch

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen, lautet ein altbekanntes Sprichwort. Mit Reise verbindet man normalerweise Koffer packen, ab in den Flieger oder zumindest in Bahn, Bus oder Auto und los geht’s – gen Süden oder gleich über den großen Teich. Doch nicht immer bietet die große, weite Welt die spannendsten Geschichten. Manchmal liegen sie direkt vor der Haustür, man muss nur genau hinschauen.

Meine Oma begab sich jeden Nachmittag mit einem Polster auf ihre kleine Reise. Ziel: ein Bankerl, schräg gegenüber ihrem Haus. Kaum hatte sie es sich gemütlich gemacht, trudelten auch schon die Nachbarinnen ein. Jede hatte ihren Stammplatz, meine Oma in der Mitte, die anderen Damen links und rechts von ihr. Eine vorzeitige Platzreservierung mittels Sitzpolster war nicht notwendig, zu groß war der Respekt vor den ältesten Dorfbewohnerinnen. Statt Meerblick gab’s Fernblick auf die Güssinger Burg und statt pampigen, abgestandenem Essen vom Hotelbuffet Kuchen oder Salzstangerl, hausgemacht am heimischen Herd.

Wie die Hennen auf der Stange saßen sie dann da und beobachteten die Straße, die Gärten ringsum, die Spaziergänger und auch die Autofahrer. Oft den ganzen Nachmittag. Die Golden Girls, wie sie im Dorf genannt wurden, hatten sich immer etwas zu erzählen. Niemand wusste über das Dorfleben so genau Bescheid wie Oma und ihre Girls. Nichts entkam ihren Argusaugen. "Willst du was erfahren, musst du nur die Oma fragen", wäre das passende Sprichwort gewesen.

Auch heute steht die Bank noch. Mittlerweile ist sie leer. Die Golden Girls haben längst ihre letzte Reise angetreten. Mit ihnen sind auch die spannenden Geschichten verschwunden. Klatsch und Tratsch im Dorf, das war einmal. Heute starrt jeder in sein Handy und begibt sich dort auf eine Reise in die virtuelle Welt. Der Nachbarin am Bankerl davon erzählen? Wozu denn, es gibt ja Facebook und Co, da passiert viel mehr. Mittendrin statt nur dabei. Oder doch umgekehrt?

eMail: natascha.marakovits@kurier.at

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