Pokémann

Julia Pfligl

Statt seinen Blick auf mich zu richten, starrte er angestrengt in sein Smartphone und irrte wie ferngesteuert über den Platz.

von Julia Pfligl

über Pokémon Go

Es kam mir gleich seltsam vor, dass der Freund darauf beharrte, mich am Abend von der Bushaltestelle abzuholen. Er ist ja wirklich ein Lieber, aber so viel Fürsorge, noch dazu ohne ersichtlichen Anlass, war ich dann doch nicht gewöhnt. "Du danke, das ist aber nicht nötig, ich finde auch alleine in die Wohnung." "Mach ich gerne, so kann ich früher bei dir sein." Hach, so romantisch. Dachte ich.

Denn die liebevolle Geste entpuppte sich rasch als reiner Eigennutz. Als ich aus dem Bus stieg, war er zuerst nicht da. Dann sah ich ihn doch: Statt seinen Blick auf mich zu richten, starrte er angestrengt in sein Smartphone und irrte wie ferngesteuert über den Platz. Ich wollte mir schon Sorgen um seinen geistigen Zustand machen, als mir wieder einfiel, was ich am Vortag gelesen hatte: Pokémon Go funktioniert jetzt auch in Österreich. Für mich, die Nicht-Spielerin, eine Randnotiz. Für ihn, den ewigen Spieler, eine Weltnachricht. Freudestrahlend lief er auf mich zu und hielt mir sein Handy unter die Nase. "Schau, ich hab einen! Bin heute extra zu Fuß von der Arbeit heim. Am Stephansplatz sind besonders viele!" Ratlos betrachtete ich die gelbe Kreatur auf seinem Display. Ich fühlte absolut nichts, außer seine Begeisterung. Und den Verdacht, dass dieser Hype noch länger andauern könnte.

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