Roth, dann, irgendwann

Doris Knecht

Doris Knecht

Roth, dann, irgendwann

von Doris Knecht

über den Literaturnobelpreis

Als langjährige Leserin dieser Kolumne wissen Sie, was jetzt kommt. Die neu Dazugekommen werden an dieser Stelle traditionellerweise davor gewarnt, dass es jetzt gleich laut wird. Heuer wird es aber nicht laut. Heuer ertönt hier nur ein schwaches, resigniertes Seufzen, weil Philipp Roth den Literaturnobelpreis schon wieder nicht bekommen hat. Und noch einer, weil er ihn, da stattdessen englischsprachige Literatur aus Kanada prämiert wurde, auch nächstes Jahr nicht bekommen wird.

Allerdings gibt es an der heurigen Preisträgerin nichts zu kritisieren; abgesehen von dem Umstand, dass sie nicht Roth ist, ist Alice Munro eine gute Wahl. Erstens, den Literaturnobelpreis bekommt eine Frau. Zweitens eine Frau mit einem großen Werk.

Drittens ist die Zuerkennung des Preises an Munro ein schönes Signal dafür, dass es im Leben nie zu spät – oder: zu kompliziert, zu anstrengend, zu riskant – ist, seine Träume zu verwirklichen und seinen Leidenschaften zu folgen: Denn Alice Munro war eine Hausfrau und Mutter jenseits der 40, als sie mit dem Schreiben anfing und dann nicht mehr damit aufhörte. Bis letzten Sommer, als sie mit über 80 beschloss, die Schriftstellerei nun sein zu lassen.

So ähnlich wie Philipp Roth übrigens. Philipp Roth, der ewig Übergangene. Kürzlich habe ich wieder einmal seine „Anatomiestunde“ gelesen, aus seiner Zuckerman-Reihe: was für ein großes, gescheites, lustiges, wunderbares Buch. Dabei fiel mir ein, dass ich seine letzten nicht gelesen habe, seit „Jedermann“ nicht. Macht aber nichts. Denn das ist ja eben das Großartige an der Literatur: Sie wird nicht alt, sie hat kein Ablaufdatum, sie verdirbt nicht. Sie bleibt vorhanden, lesbar, greifbar. Wer noch nie etwas von Munro gelesen hat, kann es immer noch tun, jetzt oder nächsten Sommer oder irgendwann, wenn es sich richtig anfühlt. So wie ich mir Philipp Roths Alterswerk aufhebe – für später, wenn ich auch älter bin, dann, irgendwann.

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