Prosit Neuschuljahr!

Doris Knecht

Doris Knecht

Und nie im Jahr waren die guten Vorsätze stärker

von Doris Knecht

über den nahenden Schulbeginn

Normale Erwachsene lassen das Jahr im Allgemeinen am 1. Jänner und mitunter ein wenig verkatert beginnen. Es sei denn, sie betreuen schulpflichtige Kinder. Dann feiern sie, zumindest im Osten, morgen mit ihrem Nachwuchs Silvester, denn am Montag ist für sie Neujahr, also Neuschuljahr. Weil nichts einem Jahr so stark einen Rhythmus aufzwingt wie die Schule und wenig den Alltag despotischer strukturiert als ein Stundenplan. Und die meisten Schülerinnen und Schüler definieren Neuschuljahr deswegen gar nicht im Übermaß als freudiges Ereignis. Aber man selbst erinnert sich an den ersten Schultag des Jahres als jenen Tag, der wie kein anderer im Jahr geprägt war von guten Vorsätzen, frischen Plänen und dem Geruch nach Neubeginn.

Es war, als bekäme man eine Carte Blanche ausgehändigt. Als seien alle Sünden vergeben. Als könne man ganz neu anfangen, in einem neuen Leben: zelebriert mit unbefleckten Heften, geordneten Ordnern und penibel sortierten, akkurat gespitzten Stiften im sorgfältig von geplatzten Tintenpatronen und ausgelaufenen Kulis gereinigten oder im Idealfall neuen Federpennal, alles in einer jungfräulich sauberen Schultasche, frei von Jausen-Bröseln, schimmligen Käse-Resten, verfaulten Apfelstücken, zerknüllten Arbeitsblättern und Butterbrot-Papieren, geschmolzenen Hustenzuckerln und klebrig-schwarzen Saft-Sedimenten, in denen Radiergummis erodierten. Und nie im Jahr waren die guten Vorsätze stärker, dass man von nun an alles gleich erledigen und besser machen würde, konsequenter und kontinuierlicher, wodurch es ganz bestimmt nicht mehr soweit kommen würde wie im letzten Schuljahr und man durch fleißige Selbstverbesserung zu einem gänzlich neuen Menschen würde. Eine glänzende Zukunft lag vor einem, so strahlend wie mit Ariel gewaschen.

Aber halt auch wieder: früh aufstehen, jeden Tag. Und auch zu diesem Neuschuljahr wird die Frage diskutiert, ob der Schulbeginn nicht viel zu früh angesetzt sei. Denn 70 Prozent der Erdenmenschen seien Eulen, Nacht-Durchwacher und Langschläfer, und nur 30 Prozent der Humanoiden seien Lerchen-Modelle, die nach langer, tief verschlafener Nacht Schlag Sonnenaufgang mit einem Liedchen den Tag willkommen trällern. Tja. Wie auch immer: Prosit Neuschuljahr.

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