Der schönste Tag im ganzen Jahr

Für manche ist es der Hochzeitstag. Für andere ist es Weihnachten. Für viele ein bestimmtes Jubiläum, das sie an etwas Schönes erinnert. Für ein paar ist es Silvester, Fasching oder sonst ein Tag, an dem sie fröhlich sind: der schönste, der wichtigste Tag des Jahres.

Für die Autorin ist es immer ein anderer Tag im Februar: der Tag, an dem man, vom Wecker im Traum gestört, die Augen aufschlägt und bemerkt, dass der Himmel nicht mehr schwarz ist. Sondern schon aufgelöst in Dunkelblau; ein Blau, das das Versprechen in sich trägt, dass es gleich, nach dem ersten Kaffee, Tag sein wird. Nicht mehr nur faktisch, sondern auch optisch, Tag im Sinne von keine Nacht, Tag im Sinne von aufgegangener Sonne, helllichter Tag, wortwörtlich: fertig finster, hell, yeah.

Die Wetter-App am Smartphone bestätigt es: Sonnenaufgang um sieben Uhr, fette, gelbe Sonne, die vom Horizont her das Dunkel wegwischt. Sie ist vorbei, die finstere Zeit, all die vielen Morgen, an denen man bei jedem Wecker-Läuten den Organismus davon überzeugen musste, dass es jetzt, auch wenn die Dunkelheit um ihn herum ganz etwas anderes sagt, Tag ist, dass der Körper jetzt in Vollbetrieb gehen muss, auch wenn alle äußeren Bedingungen ihn auf weiterschlafen programmieren.

Tag: Das ist jetzt kein arbeitsdiktatorisches Konstrukt mehr, keine Frage von Überzeugung und Selbstbetrug, kein Zeitraum, der nur von Uhr- und Öffnungszeiten definiert wird; das ist jetzt beweisbar, sichtbar, spürbar, Fakt. Der schönste Tag im Jahr. Und viele weitere Schöntage werden ihm jetzt folgen: Der Tag, an dem man freiwillig die Fenster putzt. Der Tag, an dem die warmen Farben wiederkehren, erst Gelb, dann Grün. Der Tag, der lang vermisste Geräusche durch endlich wieder geöffnete Fenster von außen hereindringen lässt: Vogelgezwitscher, Kinderlachen, das dumpfe Knallen von Bällen, Fahrradklingeln, Blätterrauschen: der Soundtrack von Frühling und Sommer.

Heute, irgendein Tag im Februar: der schönste Tag im Jahr.