Einen Abend lang jemand anderer sein

Auf 450 Bällen wird in den nächsten Monaten in Wien getanzt.
Doris Knecht

Doris Knecht

Weil nämlich das Leben eh ernst, prosaisch und casual genug ist

von Doris Knecht

über die Wiener Ballsaison

Fast eine halbe Million! Das überrascht jetzt doch. Aber tatsächlich sind es so viele Menschen, die auch heuer wieder einen oder mehrere der Wiener Bälle besuchen werden. Auf 450 Bällen, entnehme ich oben stehender Geschichte des Kollegen Gantner, wird in den nächsten Monaten in Wien getanzt, auf Bällen von süß bis zünftig, von edel bis schrill. Und die Wienerinnen und Wiener – und auch eine große Zahl extra wegen des Ballvergnügens anreisender TouristInnen – machen sich fein und gehen, trotz meist zünftiger Eintritts- und Getränkepreise, begeistert hin.

Die Frage „Warum?“, die in der Geschichte gestellt wird, drängt sich auch ihrer eher sehr ballunaffinen Kolumnistin auf. Allerdings: Selbst wenn man selber nicht anfällig dafür ist – verständlich sind die Gründe, warum Frauen und Männer es lieben, auf Bälle zu gehen, durchaus.

Weil nämlich das Leben eh ernst, prosaisch und casual genug ist. Weil so ein Ausbrechen aus dem immer gleichen und oft zermürbenden Alltag einfach gut tut. Weil es Freude und Vorfreude macht, ein, zwei Mal im Jahr Abends nicht das Übliche, das Normale zu tun – fernsehen und facebooken, den Kindern vorlesen, am Computer herumdaddeln, in der Kneipe nebenan ein Bier trinken, arbeiten: Sondern sich fein machen, sich ein prächtiges, bodenlanges Königinnen-Kleid und glitzernde Schuhe überstreifen, sich die Haare schön machen oder machen lassen, sich in einen unbequemen, aber unglaublich noblen Abendanzug zwängen.

Und eine Nacht lang jemand anderer sein, aus der eigenen alten, fad gewordenen Haut in eine hinreißende neue schlüpfen, in eine, die strahlt und tanzt, Champagner trinkt und sich auffordern lässt, die offen ist für Begegnungen und Geschichten und ein aufregendes, kleines Abenteuer: Das lüftet die Seele aus. Und das lässt sich mitnehmen und wenigstens ein bisschen hinüberretten in den Alltag, wenn alles wieder ist wie immer, praktisch, dezent und abwaschbar. Bis zum nächsten Ball, jedenfalls.

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