Wir, die wir nicht dabei sein können, atmen mit.

von Doris Knecht

über den Gedenkmarsch nach der Grazer Amokfahrt

Leserin Sabine R. hat mir einen berührenden Brief geschrieben. Darüber, wie es ihr als Mutter bei der Nachricht von dem bei der Amok-Fahrt getöteten Vierjährigen "den Hals zugeschnürt habe". Und wie lange es gedauerte habe, bis sie nach der Lektüre vieler Seiten "voller unbegreiflicher Schrecklichkeiten und unsagbarer Traurigkeit" nach "zu lange angehaltenem Atem" allmählich wieder ausatmen konnte.

Das Bild mit dem angehaltenen Atem hat mich berührt. So ging es, glaube ich, vielen. Und in Graz tun sich viele immer noch mit dem Atmen schwer, unter der Last all der Fragen, die die Tat aufgeworfen hat, vor allem, der ganz großen, übermächtigen, zentnerschweren: Warum?

Die Berichte der Menschen, die mit der Straßenbahn durch Graz fahren, in der es noch immer totenstill wird, wenn sie die Orte passiert, an denen Menschen starben und verletzt wurden. Die Gedanken von Eltern, die ganz taub sind vor Mitgefühl mit den Eltern des getöteten Buben; was für eine Tragödie, wie unendlich traurig das ist.

Die Gedanken der Frisch-Vermählten und den Lang-Verheirateten, die an die junge Frau denken, die nach nur zwei Wochen Ehe ihren jungen Gatten verlor und selber lange mit dem Tod rang: Sie hat den Kampf gewonnen, sie wird durchkommen, aber ihr Leben wird nie wieder sein wie vorher, wie in dieser glücklichen, verliebten Zeit nach ihrer Hochzeit.

Heute versammeln sich viele Menschen, die seit letztem Sonntag mit dem Atem ringen, zu einem gemeinsamen Gedenkmarsch, der auch über die Herrengasse führt, durch die der Amokfahrer raste. Angehörige, Freunde und Bekannte der Toten und Verletzten werden teilnehmen, Augenzeugen, die die Tat miterlebt haben, Menschen, die irgendwo in der Nähe waren oder die geschockt die Nachrichten hörten und die Bilder sahen.

Sie werden gemeinsam gehen, gemeinsam gedenken, gemeinsam Luft holen, ausatmen, weiteratmen, trotz allem.

Wir, die wir nicht dabei sein können, atmen mit.

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