Wenn diese mutige Frau kein Star war, dann weiß ich auch nicht.

von Karl Hohenlohe

über die Nonne des Vergessens des Bildhauers Hrdlicka.

Wenn man im Stephansdom vor dem Hauptaltar steht und links abbiegt, gelangt man in eine kleine Kapelle. Hebt man den Blick zum Himmel, wird er auf dem Weg dorthin von einer Büste aufgehalten, die der Bildhauer Hrdlicka schuf.Er hat eine Nonne des Vergessens entrungen, der man sich auch sonst noch erinnert hätte. Sie hat den Nazis getrotzt und dafür mit dem Leben bezahlt.Die kleine Kapelle beherbergt gerade Gläubige, Suchende und Agnostiker. Auch unzählige Ungläubige pilgern dorthin, wo sie die Steinmetze, Meister Pilgram und das Licht, das durch die Kirchenfenster drängt, anbeten.Manche werden der Figur von Herrn Hrdlicka nichts abgewinnen können, ihnen ist sie wie das Werk eines hyperaktiven Kindes, dem man gerade eine Portion Plastilin geschenkt hat.Andere werden sich denken, gerade darauf hat er es abgesehen, ihm schwebte ein erwachsenes Kind vor, mit reinen Gedanken, die infantile Machart ist langer Überlegung entsprungen und nicht Zeichen eines Verfalls. Ein Dritter wird sich fragen, ob er sich überhaupt etwas fragen darf. Ob es eine verunglückte Arbeit eines großen Künstlers überhaupt geben kann, und wenn ja, ob man es zum Ausdruck bringen darf oder ob man dann verzopft ist, veraltet und stockkonservativ. Ich schaue also hinauf auf diese wundersame Schöpfung und überlege, ob man über die Büste einer Nonne eine Gesellschaftskolumne schreiben kann. Ich habe über so viele Stars geschrieben und wenn diese mutige Frau kein Star war, dann weiß ich auch nicht.

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