Gast & König

Karl Hohenlohe

Karl Hohenlohe

Nein, das Wort "ungenießbar" nahm er nicht in den Mund, aber es lag ihm auf der Zunge.

von Karl Hohenlohe

über ein Essen bei Jean Paul Getty

Gerade wurde das geschmackssichere Gourmetmagazin profil isst! aus der Taufe gehoben. Ein schönes Heft mit ansprechendem Layout und einem krassem Fehler: Auch wenn man vorher reichlich gegessen hat, ist man nach der Lektüre hungrig.

Dies wiederum bringt uns zu Jean Paul Getty, dem ehemals reichsten Mann der Welt. Ein befreundeter Banker war in jungen Jahren, gemeinsam mit 13 anderen Finanzmanagern, bei Herrn Getty in seinem englischen Landsitz "Sutton Place" eingeladen. Ein prachtvolles Haus, vollgestopft mit den schönsten Kunsthandwerken, eine riesige Sammlung von erlesenem Geschmack.

Apropos Geschmack, mein Zeitzeuge erinnerte sich, dass das Essen keineswegs mit dem Interieur mithalten konnte. Nein, das Wort "ungenießbar" nahm er nicht in den Mund, aber es lag ihm auf der Zunge. Man kämpfte sich also durch die Suppe und den Hauptgang, dann öffnete sich die Tür und das Personal erschien mit dem Dessert. Es waren zwei Tabletts, eines mit einem Teller voller dunkelroter Himbeeren mit Schlagobers, das vor dem Hausherren zu stehen kam, das andere mit einem Topf gekochtem, dumpf dampfendem Rhabarber. Es entstand eine kurze Stille, die von einem älteren Banker, der Getty näherstand als die anderen, unterbrochen wurde. Mit leiser Stimme erkundigte er sich, wieso der Hausherr Himbeeren bekäme und die Gäste den Rhabarber.

Erneut gab es eine kurze Stille, dann sagte Jean Paul Getty – und mein Informant schwört, dass es wahr ist: "Der Garten ist voller Rhabarber. Ich hasse das Zeug und irgendjemand muss es essen".

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