So klein und schon ein Staat
Es gibt Orte, die man sehen muss, um sie zu verstehen.
Jedes Jahr veröffentlicht die Statistik Austria eine Erhebung der beliebtesten Urlaubsziele der Österreicher. Viel interessanter wäre zu wissen, warum ein Mensch an einen Ort fährt. Weckt die Obere Adria Kindheitserinnerungen? War der Kollege auch auf dieser einen einsamen griechischen Insel? Hat der Hofer Kroatien im Sonderangebot? Der Dottore Amore und ich waren neulich jedenfalls in Montenegro, weil ich unbedingt einmal ein Land besuchen wollte, das es vor meiner Geografie-Matura noch nicht gegeben hat. Und weil ich ein Faible für Staaten habe, über die man sagen kann: Oh, so klein und schon ein Staat! Montenegro ist ein bissi größer als Tirol, hat allerdings um 110.000 Einwohner weniger, doch die sind alle wunderschön: groß, schlank, elegante Gesichtszüge und schwarzes fülliges Haupthaar. Sie führen ihre Schönheit darauf zurück, die Nachkommen der vor den Osmanen in die Berge geflohenen, ersten serbischen Adelshäuser gewesen zu sein. Worauf der Rest des Balkans wiederum die große Angst montenegrinischer Männer zurückführt, sich zu überarbeiten. Ich hielt das für ein böses Gerücht neidiger Nachbarn. Doch bei der Abreise stellten wir fest, dass drei Handwerker tatsächlich eine ganze Woche brauchen können, um vier Leisten anzuschrauben. Und nein, die gingen nicht zwischendurch weg, versuchten allerdings in fürstlichster Manier, ob sich die zu errichtende Terrasse selbst aufbauen würde, wenn sie sie nur lange genug anstarrten. Doch nachhaltig beeindruckte uns, dass dieses Land nicht einfach so Montenegro heißt, sondern weil es dort tatsächlich montagna negra gibt, also kohlschwarze Berge, die steil ins Meer abfallen. Die sind wirklich schwarz! Als wir das sahen, wurde uns bewusst, dass es, egal wie voll das Internet mit Bildern und Videos ist, es tatsächlich Orte gibt, die man sehen
muss, um sie zu verstehen.
vea.kaiser@kurier.at
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