Selbstabholer

Es ist gar nicht so leicht, ein brauchbares Bücherregal zu verschenken.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Das Wort verschenken löst in der menschlichen Spezies viele eigenartige Reflexe aus.

von Vea Kaiser

über eine Anzeige im Internet

In der neuen Wohnung gönne ich mir den größten Luxus: ein ordentliches Bücherregal. Freundin Meike, die in ihrem richtigen Leben gewaltige Bühnenbilder baut, bastelt mir das schönste Regal auf der Welt, und in meiner grenzenlosen Naivität dachte ich, wenn mir das Universum Freundin Meike geschenkt hat, dann sollte ich dem Universum danken und die alten Regale verschenken. Der große Fehler: Ich schaltete eine Anzeige im Internet: Regal zu verschenken. Das Wort verschenken löst in der menschlichen Spezies viele eigenartige Reflexe aus, die ich mir nur damit erklären kann, dass wir früher in Höhlen lebten. Jagt man einem Hasen hinterher, ist es sicherlich gut, alles liegen zu lassen und mit dem Speer in der Hand aufzuspringen. Will man jedoch ein im Internet angebotenes Regal erlegen, ist es mitunter hilfreich, nicht sofort zum Handy zu greifen, sondern sich die Beschreibung unter dem Foto durchzulesen, in der die Maße des Regals Zentimetergenau protokolliert sind und auch die Bitte erwähnt ist, nur per SMS kontaktiert zu werden. Erst als ich einen hartnäckigen Anrufer zum vierundzwanzigsten Mal weggedrückt habe, schrieb er mir: HEBEN SIE AB! ICH MUSS DAS REGAL HABEN!!! WIE GROSS IST ES? Auch interessant war, dass Selbstabholung für viele, vor allem weibliche Interessenten, zu implizieren schien, dass ICH beim Tragen helfe. Ich habe zurzeit keinen Freund und mein Tinder-Date mag ich nicht fragen. Wir sind noch nicht so eng. Kannst du mir helfen? Aber das war immer noch angenehmer als diverse Anrufer, die von mir Geld wollten, wenn sie das voll funktionierende, wirklich schöne Bücherregal entsorgen. Es kostete mich drei Tage, um das Regal zu verschenken, aber jetzt ist es weg und ich habe gelernt: Sollte es einen Gott geben, dann leistet er sich hier auf Erden einen wirklich lustigen, verhaltenskreativen Zoo.

vea.kaiser@kurier.at

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