Eine Weihnachtsgeschichte

Wenn das Christkind zweifelt.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Kurz vor Weihnachten stand das Christkind vor dem Spiegel und hatte eine schwere Identitätskrise. Die Vanillekipferl schmeckten fahl und anstatt Hochstimmung bescherte ihm der Punsch Depressionen. Das Christkind hatte noch nie gewusst, wer es eigentlich war. Bub oder Mädchen? Engerl oder Mensch? Katholisch oder Protestantisch? Eine Erfindung Luthers? Und seine Beziehung zu Jesus? In Anbetracht dieser Ungewissheiten konnte das Christkind verstehen, dass der Weihnachtsmann auf dem Vormarsch war. Seine Biografie war klar: Weißbärtiger Mann, rote Uniform, wohnhaft am Nordpol, Haustiere: Dasher, Dancer, Donner, Blitzen etc., Erfinder: CocaCola. Früher hatte ihn das Christkind stoisch ertragen, jede Konsum-Gesellschaft braucht ihre Werbeikonen. Aber dass mittlerweile auch das Christkind zu Marketingzwecken missbraucht wurde, gefiel ihm gar nicht. Es hatte bisher als seine größte Stärke erachtet, dass alles, was man von ihm kannte, das Glockenklingeln am Heiligen Abend war. Doch bei all den Christkinderln in der Werbung, so fürchtete das echte Christkind, assoziierte man es einzig mit billiger blonder Lockenperücke und Plüsch-Heiligenschein. Im Internet wurden sogar Christkind-Dessous-Sets mit Löchern an delikaten Stellen feilgeboten. Das Christkind überlegte zu streiken. Sollte der dicke Alte mit seinen Pseudo-Hirschen heuer die ganze Arbeit machen. Doch dann erinnerte es sich, dass Weihnachten das Fest der Nächstenliebe, nicht des Egoismus war. Also schmierte sich das Christkind ordentlich Kälteschutzcreme auf die Wangen und rückte aus, um Ihnen allen eine frohe Weihnacht zu bescheren! Mögen Sie Frieden, Besinnung und Freude erfahren, und auch bei brennenden Christbäumen oder verkohlten Weihnachtsganserln nicht vergessen, was zu Weihnachten wirklich wichtig ist; genügend Kälteschutzcreme.

vea.kaiser@kurier.at

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