Eine kleine Vorweihnachtsgeschichte

Warum sich der Weihnachtsmann auf der Kaufhaustoilette einsperrte.
Vea Kaiser

Vea Kaiser

Am zweiten Adventsamstag schloss sich mein Freund Rainer auf der Kaufhaus-Toilette ein. Der Bart juckte bestialisch und anders, als man ihm versichert hatte, heizte der umschnallbare Kunstbauch das Kostüm unerträglich auf. So hatte sich Rainer das nicht vorgestellt. Er hatte als Weihnachtsmann angeheuert, um Kinder zu verzaubern, während die Eltern letzte Besorgungen tätigten. Aber niemals hätte er damit gerechnet, dass eine Horde Buben in der Kosmetik-Abteilung Angriffspläne schmiedeten, um den ausländischen Feind des Christkinds niederzuboxen. Im Vorkurs war ihnen geraten worden, keine Kinder auf den Schoß zu nehmen, doch Rainer hatte weder geahnt, wie durchsetzungsfähig kleine Mädchen waren, die wie im Fernsehen auf Santas Knien sitzen wollten, noch, dass man von Passanten als Perversling beschimpft würde, wenn man es einmal erlaubte. Und als sein Hosenbein warm-nass wurde, merkte er, dass im Kaufhaus sogar Hunde erlaubt waren. Rainer überdachte am stillen Örtchen die Gesamtsituation. War es das wert, nur um seiner Familie alle Wünsche zu erfüllen? Sie könnten auf die Delikatessen verzichten, den Kindern weniger und den Erwachsenen gar keine Geschenke machen. Er überlegte, nachhause zu gehen, und anstelle des zusätzlichen Einkommens Zeit für seine Familie mitzubringen. Doch dann erinnerte er sich, dass seine volksschulpflichtigen Töchter all ihre Wünsche gegoogelt hatten, damit das Christkind nicht aufgrund von Rechtschreibfehlern auf dem Wunschzettel etwas Falsches brächte. Dass seine Frau stundenlang Kochbücher gewälzt hatte, um es der Schwiegermutter heuer so richtig zu zeigen. Und so wischte sich mein Freund Rainer den Schweiß unter seinem Kostüm trocken, schnallte den Kunstbauch wieder enger und stürmte hinaus in die unbamherzige Welt eines vorweihnachtlichen Kaufhauses.

vea.kaiser@kurier.at

Kommentare