Wir bereuen rein gar nichts
Lotterleben mit einem kurzen Schlechten-Gewissen-Ausschlag
Der Fortpflanz äußert Gewaltbereitschaft, nachdem ein taxifahrender Mitbürger uns zuerst wegen Gepäcks in Marlene-Dietrich-Dimensionen die Mitnahme verweigern wollte und dann den Koffer so grantig in den Wagen donnerte, dass das Schloss brach. Dass ich mich weigerte Ko-in-Saft-zu-gehen machte das Kind noch wütender: „Bist du in einen Smiley-Trank geplumpst oder was?“ „Schatzi“, flötete ich später im Gang des Flugzeugs, wo eine Barbapapa-Familie gerade den Weltrekord im langsamsten Einschlichten von Taschen im Gepäcksfach aufzustellen versuchte und sich von einer Zehnmenschen-Schlange nicht aus dem Konzept bringen ließ, „ich habe vor, es einmal in meinem Leben mit Gemütlichkeit zu probieren. Was man nicht ändern kann, sollte man wegblenden.“ Wir fuhren nach Paris. Ich wollte das Kind einmal nicht nur Comiclaute vor einem Computer grunzen hören und hoffte auf ein Konversationlevel jenseits der Immer-tragst-du-nie-den-Mist-hinunter-Debatten. Wir bezogen eine Wohnung, die wie aus dem Amélie-Film geplumpst schien und inmitten einer Fressstraße gelegen war. Von einer Käse-Boutique plumpsten wir in den nächsten Terrinenladen und dazwischen kam es noch zu einem Éclair. Schon am Nachmittag des ersten Tages hatten wir mehr geredet als in den vergangenen vier Wochen. Es hatte uns beide Zehntausende Kalorien gekostet, aber jede Einzelne war ihr Geld wert. Da fiel es nicht ins Gewicht, dass unser reizender Hausmeister nicht wie Benjamin Biolay und nicht einmal wie Depardieu aussah. Kurzfristig bekam das Kind wegen unseres Lotterlebens einen kurzen Schlechtes-Gewissen-Ausschlag. Dann erklärte ich ihr, dass die berühmteste Liedzeile der berühmtesten Sängerin dieser Stadt „Ich bereue nichts“ lautete und dass das unter gar keinen Umständen ein Zufall sein konnte.
polly.adler@kurier.at
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