In vollem Swing, der Sommer
Quer durch die Kabanen entwickelte sich ein richtiger WG-Geist.
Der Morgen begann nicht mit einer Schusswunde wie bei Jerry Cotton, sondern mit einem Lachkrampf. Er war die Konsequenz meines kleinen Vorschlags gewesen, den ich T zum ersten Kaffee gereicht hatte. „Was hältst du davon, wenn wir einmal zwei, drei Tage nichts trinken?“ Nonstop-Gepruste über Minuten. Dann: „Geh, Schatzerl, man muss doch ein bisserl realistisch bleiben.“
Der Sommer war in vollem Swing und dementsprechend dauerlustig waren wir alle in unserer lustigen, kleinen Vöslauer Ferienkolonie. Sozial hatte man sich von Wien längst abgekoppelt. Wenn einen Gerade-noch-Freunde vereinzelt anriefen und Treffen in festem Schuhwerk in Scha-Gagas (schattige Gastgärten) vorschlugen, hauchte man nur erschöpft von der bloßen Vorstellung: „Im September ist meine Tanzkarte wieder blütenweiß.“ Quer durch die Kabanen entwickelte sich ein richtiger WG-Geist. Man half sich gegenseitig mit Essiggurken aus. Wusch manchmal die Wäsche für die entzückende Schauspielerfamilie nebenan mit, dafür bekam man auf der Pariser Clown-Akademie einstudiertes Stolpern und jede Menge Bühnenschnurren kredenzt.
Die Fortpflänze strahlten; vor allem meiner, weil Muttchen seit 14 Tagen die Wiener Wohnung nicht mehr betreten hatte und sie „Sturminger“ hatte, so das Kürzel des Kindes für ein von Autoritätspersonen gesäubertes Areal.
Wenn ich abends nach Badeschluss meine Längen zog und mir die süße Ilse, Kellnerin in unserer Kantine „Kabane 21“ zuwinkte, dachte ich daran, dass es die Fin-de-siècle-Rasselbande der Altenbergs, Zuckerkandls und Schnitzlers wahrscheinlich hier genau so lustig gehabt hatte. Schließlich waren die alle Pioniere in jenem Club, der unter dem Arbeitstitel „Es ist nie zu spät, um eine glückliche Kindheit zu haben“ läuft. Ich versprach mir, Ehrenmitglied auf Lebenszeit zu werden.
polly. adler[at]kurier.at
Polly Adler spendet in „Adieu Fortpflanz“ Trost und Ratlosigkeit von der Erziehungsfront und erzählt, warum man sein Kind zwar immer liebt, aber manchmal dennoch nicht leiden kann.
240 Seiten, 22,95 Euro bei www.thalia.at
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