Chill mein Leben!
Meine „Mogli“-fizierung ist bereits weit fortgeschritten. Schuhwerk jenseits der Flipflop-Absatzhöhe wurde in die hintersten Winkel verbannt; Gesichts-Malfarben ins Exil geschickt. Die Pedikeuse kräuselt ihre Stirne in Sorgenfältchen: „Wo, darf ich fragen, hüpfen denn Sie herum?“ – „In der Freiheit!“, antworte ich stolz. Ich lebe an der Alten Donau und versuche das Motto des Fortpflanzes für meine Zwecke zu adaptieren, das da lautet: „ Chill dein Leben!“ Mein Nachbar in der Schreber-Siedlung ist mir da nahezu Guru. „Pfooh, pfooh... ich bin am End, Burnout-Alarm!“, seufzt der Herr E. Man reicht Hopfen-Dosen zur ersten Hilfe. „Dank dir, ich war nämlich heut so fleißig, ich hab mindestens schon eine Dreiviertelstund telefoniert.“ Einer Zeitungsnotiz entnehme ich, dass Nichtstun die Kreativität fördert und die von Emsigkeit und Effizienzneurotik gepeitschten Kreaturen nicht selten ihre Kräfte an Fahrten ins Leere verschwenden. Energie-Ökonomie ist jetzt mein zweiter Vorname. In London gründete der Ex-Journalist Tom Hodgkinson eine Akademie für Müßiggang. Auf Grund meines Digital-Detox-Programms (kaum Handy, kein Facebook, allenfalls Facetime mit gleichgesinnten Oblomow-Epigonen) ist es mir leider nicht möglich, mehr über diese völlig überrannte Institution in Erfahrung zu bringen. Außerdem: Die Hilfeschreie des Fortpflanzes auf FB „Rette mich, wer kann! Meine Alte ist voll auf dem Hippie-Trip!“ braucht auch kein Mensch. Gontscharows Roman „Oblomow“ aus dem Jahr 1859, mit dem Godfather des Chillens als Antihelden, wurde übrigens gerade wieder neu übersetzt. Doch der bloße Gedanke an die Lektüre eines 350-Seiten-Wälzers setzt mich unter Stress. Ich habe nämlich ohnehin mächtig um die Öhrchen: Ich lerne gerade, mein Leben zu chillen, ich untüchtige Person!
polly.adler(at)kurier.at
Der erste Polly-Adler-Roman "Venus im Koma"
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