chaos DE LUXE: Verzögerter Blitzschlag
"Ich habe mich verliebt. Und es kommt noch schlimmer." S stand mit einer Miene, deren bloßer Anblick einen in tiefste Depressionen schlittern ließ, in meiner Tür. Dann seufzte sie: "Es ist noch dazu ein Mann." Jetzt erst konnte ich das Ausmaß der Katastrophe nachvollziehen: "Um Himmels Willen - wie konnte das nur passieren!" S zuckte die Schultern: " Es kam über mich wie der 14. Juli über Paris. Ich bin so verzweifelt." S hatte nämlich die letzten sieben Jahre einen gesellschaftlichen Hindernislauf hinter sich gebracht. Zuerst hatte sie ihre gleichgeschlechtliche Orientierung ihrer erzkonservativen Salzburger Familie verklickern müssen; dann wagte sie es erst, auch im Job und bei ihren Freunden "rauszukommen". Und jetzt war sie seit drei Jahren offiziell glücklich mit Liane, einem PR-Fräulein aus ihrem Architekturbüro, mit Alabasterteint und einem Mund wie eine geplatzte Rosenknospe, das zunehmend maulte: "Meine Hände sind so wahnsinnig nackt, dass sie frieren. Wann krieg ich ihn endlich, diesen Ring?!" So wie's jetzt aussieht, nie. Denn S war beim Kauf von Inkontinenzwindeln für ihren Großvater ihrer Jugendliebe über den Weg gelaufen. Der hatte in dem Laden für seine Mutter Venenstützstrümpfe erworben. Und ja, es kommt noch romantischer: Über dreißig Jahre und zwei Ehen lang hatte der Typ mindestens einmal täglich an S gedacht, wie er ihr nach dem fünften Martini Cocktail verraten hatte, und sich ausgemalt, wie alles gelaufen wäre, wenn alles anders gekommen wäre. Und dann ins nächste Stundenhotel und der Jahrzehnte verzögerte Blitzschlag, aber volles Programm. "Bin ich ein Schwein?", fragte sie jetzt tonlos. "Nein," tröstete ich sie, "nur weil man einen Mann liebt, ist man kein Schwein. Das Gros der Erdbevölkerung ist doch bisexuell. Nur ist eben den wenigsten der Luxus dieser Erfahrung gegönnt."www.pollyadler.at polly.adler(at)kurier.at
Buchtipp:
"VENUS IM KOMA" - DER ERSTE POLLY ADLER-ROMAN ERSCHEINT Polly läuft - und zwar aus dem Ruder. Trotz Basislager bei der Paartherapeutin will sich ihr Mann Max plötzlich unerhörterweise selbst verwirklichen - und zwar so ganz ohne Polly. Die Tochter Resi pubertiert bis zum Anschlag und behandelt ihre Mutter wie eine lästige Stalkerin. Und als Reporterin an der Society- Front beißt sich Polly an einer durchgeknallten Aristo-Mischpoche die Zähne aus. Ja, und irgendwo gibt es noch einen Pleite-Bankier, der Polly entführt, um irgendwie zu überleben. In jedem Fall ist Pollys Leben sauanstrengend. »Deine Venus ist im Koma!«, kann da ihre astrologieverseuchte Freundin Gerti nur immer wieder feststellen. Jetzt wird Österreichs Kultkolumnistin Polly Adler endlich zur Romanheldin, in deren Stöckelschuhen man keinesfalls stecken möchte. Eine erzählerische Tour de force, in der die Society-Pappnasen der Republik bis zur Kenntlichkeit entstellt werden. Ab Ende Oktober im Handel.
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