chaos DE LUXE: Oma in Koma-Nähe
Meine Großmutter ist 95 und entsetzt. Sie hat in meinem Roman Stellen gefunden, die na ja ... "Also, was jetzt, Oma?" – Sie bittet ihre Suppe um Asyl, denn man müsste sich jetzt in Regionen begeben, die eigentlich zu tief liegen. "Jetzt sag schon." Sie lugt zaghaft hinter ihrem Grießnockerl hervor: "Also ich staune ... diese Freizügigkeit, was diese Sachen betrifft ... Und das alles auch noch gedruckt. Also zu meiner Zeit ...." – "Zu deiner Zeit gab es nach fünf züchtigen Spaziergängen einen verschämten Wangenkuss, aber dann schon im Schweinsgalopp einen ordnungsgemäßen Heiratsantrag ... Mein Papa und dein lieber Sohn hat schon einen kilometerlangen Bart, weil er noch immer vergebens darauf wartet, dass ihm der, der um meine Hand anhält, nicht gut genug sein kann ..." – "Bei deinem Beruf ist ja gar keine Zeit für viel anderes." – "Papperlapapp! Ich würde in der Sekunde mit der Schaufel in meiner Terminhalde umgraben, um Luft für eine zarte Romanze zu schaffen – verschämtes Erröten und Austausch von nach L’Air du Temps duftenden Spitzentaschentüchern inklusive." – "Und? Was hält dich ab?" Ich zeigte nach draußen: "Die Marktlage, Oma, die beschissene Marktlage ..." – "Bitte sag doch wenigstens verheerend. Vielleicht solltest du doch ein wenig weniger selbstständig wirken. Das schreckt die Männer doch nur." – "Die, die das schreckt, sind sowieso Lulus ..." – Jetzt kicherte sie: "Wirklich abortig, deine Ausdrucksweise!" Ich versprach ihr bei meinem nächsten Besuch wirklich schlüpfriges Schriftgut mitzubringen. – "Ich will dieses moderne Zeugs nicht."– "Das Zeugs heißt Das Delta der Venus, ist von Anaïs Nin und über 70 Jahre alt. Da wirst du erst die Ohren anlegen." – "Ob das mein Blutdruck vertragen wird?", rieb sie sich jetzt schon einmal vorfreudig die Hände.
polly.adler(at)kurier.at
Kürzlich erschienen: der erste Polly-Adler-Roman "Venus im Koma"
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