Bravo, Omschi!
Ich stand am Sarg meiner Großmutter. Durch meine Trauer zog ein Lächeln einen Kondensstreifen. „Bravo, Omschi“, flüsterte ich ihr zu, "du hast einen echten First-Class-Tod hingelegt." Meine Großmutter war in ihrem 96. Lebensjahr beim Kochen umgefallen. Nichts anderes hatte sie sich sehnlicher gewünscht. Als mein Onkel sie fand, stieg bereits schwarzer Rauch aus dem Reindl.
Wahrscheinlich hatte sie sich noch im Abgang darüber leise Vorwürfe gemacht, dass ihr geliebtes, fast siebzigjähriges "Burschi" jetzt um seine Mahlzeit umfiel und sie obendrein einen ganzen Topf voller Erdäpfel verschwendet hat.
Meine Großmutter war ein Kind zweier Weltkriege. Hunderte Male hatte sie uns die Geschichten erzählt, wie sie sich mit zwei winzigen Kindern und sechzehn Stück Gepäck im Schlepptau quer durch das Trümmerdeutschland 1945 den Weg zurück nach Wien gebahnt hatte; und sie dann damit umgehen lernen musste, dass Menschen, denen sie vor ihrer Abreise Unterschlupf gewährt hatte, sich weigerten, ihre Wiener Wohnung zu verlassen. Während die Pastorin tröstliche Worte fand, dass es meiner Großmutter an nichts mangeln wird und sie jetzt eine neue Wohnung gefunden hat, fetzte mir meine Kindheit durch den Kopf: Ich sah sie in der Küche Schneenockerln in Vanillesauce zaubern, bei ihrer täglichen Morgengymnastik, die sie bis zum Schluss durchgezogen hat, ich versuchte mich an die Geschichten zu erinnern, die ich ihr als Kind unter der Prämisse "Es muss ein bisserl grauslich sein, aber gut ausgehen" entlockt hatte.
Und ich versprach in diesem Moment meinen zukünftigen Enkeln, schon jetzt die First-Class-Oma-Schulbank zu drücken, denn nichts ist ein besserer Treibstoff im Leben als dieses Gefühl, bedingungslos geliebt zu werden.
polly.adler(at)kurier.at
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