Smalltalk-Hangover

Im Würgegriff der guten Vorsätze
Polly Adler

Polly Adler

Heb' deinen Vanillekipferlarsch, Zeit für einen Spaziergang“, scheuchte mich mein Freund C im harschen Ton vom Divan. „Ich bin so müde“, zirpte ich gleich eines verendenden Kolibris. „Wovon bitte?“ – „Vielleicht vom Müdesein selbst. Außerdem habe ich eine Gaumenzäpfchenprellung.“ – „Das klingt nach einer besonders eleganten Verletzung.“ – „Hab’ ich mir beim Smalltalk-Marathon geholt. Irgendwann bei diesen Kampfcocktails nach dem x-ten Lange-nicht-gesehen-gut-schaust-aus-wie geht's-ach-gerade-ein-bisschen-stressig-Gebrabbel hat mein Gaumenzäpfchen gesagt: Für diesen Schmarren in der Endlosschleife will ich nicht mehr herhalten müssen.“ – „Und, was lernen wir daraus?“ – „Dass der Mensch ab und an sowas wie eine Sozialdiät braucht. Und mit wenig auskommen lernen sollte. Also eigentlich nur mit seiner eigenen Wenigkeit.“ Wir stapfen schweigend durch die Prater Hauptallee. Es war ein durchaus angenehmes Schweigen. Man braucht Menschen, mit denen man wohltuend schweigen kann. „Und sonst? Irgendwelche Neujahrsvorsätze?“, fragte mich C nach drei Kilometern. „Also jetzt einmal abgesehen von dem Handelsüblichen“, wollte ich wissen, „wie zehn Kilo abnehmen, den ganzen Tolstoi lesen, To-do-Listen führen, grüne Smoothies süffeln, endlich gebacken kriegen, dass der Körper keine Kreditkarte ist, von der nie eine Abrechnung ins Haus flattert, schöne Tage sammeln, was Lustiges schreiben, viel Krebsvorsorge in Lachsalven betreiben, die Kunst der Selbstironie perfektionieren und mein Zeitreservoir wie ein Kettenhund zu bewachen, auf dass ich sie nicht mit den falschen Menschen an ebensolchen Orten vergeude?“ – „Ja“, lächelte er, „abgesehen davon. Vielleicht ein bisschen weniger anstrengend sein?“ – „Das wäre natürlich eine Option, aber dafür sieht es 2016 leider noch verdammt eng aus.“

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