Schön schauen
Was glauben diese Nesthocker-Würstchen eigentlich?
Das Kind behandelt mich neuerdings wie retardiertes Gemüse. Es sagt Sachen wie „Draußen geht der Wind, nimm einen Schal“ oder „Wie oft noch? Plastik zu Plastik, Bio zu Bio – welcher Teil von Mülltrennung ist so schwer zu verstehen?“ Dann stemmt es mit aufmüpfigem Blick nach Art der dirndltragenden Versandhauskatalog-Models in den 1970er-Jahren den Arm in die Hüfte und sagt nur: „Du wirst noch einmal schön schauen!“ Der Subtext dieser einfallslosen Drohung lautet: Wenn ich, dein Lebensinhalt, hier einmal weg bin, wird dein Dasein grau, bedeutungslos und leer sein, abgesehen davon, dass es im totalen Müllchaos, fortschreitendem Skorbut etc. endet. Die Drohung ist auch deswegen so überschaubar unheilverheißend, weil das Kind seinen süßen Hintern hier noch eine Weile eingeparkt lassen wird. „Ausziehen?“, keppelte sie unlängst am Handy, wobei ich sie belauschte, „bin ich bescheuert? Ich wohne hier im Grünen, die City ist in Wurfweite, meine Mutter hat (noch) ein Leben und macht keinen Qualitytime-Stress, und das Huhn, das in unserem Kühlschrank sitzt, hat Freunde gehabt ... Na Bio, Alter, wer mit unserem Einkommen kann sich denn ein Hendl um 25 Euro leisten, ha?“ Ich lasse mich aber nur unter einer Bedingung breitschlagen, das Kind weiter unter meinem Dach zu dulden: Die Fortpflanz-Kumpels müssen sich alle und strikt abgewöhnen, auf ihren Besuchen Dinge zu johlen wie: Was, deine Mutter trägt Converse? Wie bitte, hört die Alte jetzt echt Drake, ich packe es nicht?! Oder: Oh my God!? Die Parka gehört deiner Mutter? Was, die schaut wirklich in ihrem Alter Amy Schumer?
Was glauben diese Nesthocker-Würstchen eigentlich? Dass man sich zu Sinatra ins Kissen schluchzt, heimlich für Tom Cruise schwärmt und sich deswegen „Top Gun“ reinpfeift und ansonsten reif ist für die Generation Spaziergang-&-Jause? Da werden die aber noch sehr schön schauen.
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