Schön analog!

Warum nicht wieder mehr „old school”.
Polly Adler

Polly Adler

Als ich neulich im Burgtheater saß, dachte ich: Wie anachronistisch! Herrlich! Erwachsene Menschen stellen sich auf Bretter und simulieren erfundenes Leben. Vor einer überschaubaren Schar Leutchen. Ohne Weltvertriebsrechte und Merchandising-Stände. Der Staat und die Gesellschaft haben sich darauf geeinigt, sich diesen analogen Luxus zu leisten. Vor ein paar tausend Jahren hat sich irgendeine Xenia genauso wie heute extra schnittige Sandalen angeschnallt und nachmittags die Locken mit getrockneten Schweineschwänzchen hoch gebrezelt, um sich abends in der Arena den letzten Schwank von Aristophanes reinzuziehen. „Wir müssen sehr glücklich sein“, sagte ein Freund, mit dem ich über die Wiesen stampfte, „dass wir die Welt noch ganz analog erlebt haben.“ Der Mann ist fast ein Jahrzehnt jünger als ich und alles andere als ein engstirniger Kulturpessimist. Den Rest des Nachmittags verbrachten wir damit, die herrlichen Seiten des analogen Lebens zu preisen. Zum Beispiel: Wenige Freunde zu haben, die man aber besser, als je befürchtet, kennt. In von Emotionen gelenkter Handschrift Briefe zu verfassen. Jemanden zu entdecken, anstelle ihn platt zu googeln. Echte Vollzeitaufmerksamkeits-Gespräche ohne Nebenkommunikationsbaustellen. Nicht in Versäumnispanik zu leben, dass einem vielleicht was Wichtiges wie das Angebot einer Penisverlängerung entgangen ist, oder dass man wieder einmal Zillionen von einem toten Nigerianer ohne Erben auf seinem Konto zwischengeparkt hätte kriegen können. Überhaupt: Nicht ständig seine Zeit auf einem Smartphone in den Orkus wischen. Ich beschloss, mein Leben wieder auf die Old-School-Spur zu bringen. Erster Schritt: Bestellen von Büttenpapier mit Jane-Austen-würdigem Briefkopf. Online natürlich. Ich bin ja nicht blöd und sattle dafür einen Gaul, um in die Innenstadt zu stechen.

polly.adler@kurier.at

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