Reisen durch meine Falten
Ich hab soziales Sodbrennen.
F starrte ins Leere, ihr Blick hatte was von einer Feldmaus, über die ein Traktor gerollt war. „Nach den Feiertagen ist man so etwas von durchgerockt“, flüsterte sie, „ich hab' soziales Sodbrennen.“ – „Ich auch“, pflichtete ich ihr bei, „meine Vorstellung von Paradies: drei Tage im gesellschaftlichen Off, mit Netflix an Gemüsebrühe.“ – „Vielleicht sollte ich ein paar Glückspillen poppen, ich komm' mir so depressiv vor.“ – „Es ist bitte normal, ein bisschen traurig zu sein. Auch so eine Seele ist nun einmal kein Wunschkonzert. Dieser Dauer-gut-drauf-Terror hat doch auch etwas Ungesundes.“ – „Ich fürchte, mein Leben ist schon vorbei.“ – „Bitte wie? Du bist 52, hast zwei Kinder auf Schiene und drei Männer um ihren Verstand gebracht. Das ist doch einmal eine Halbwerts-Bilanz, die sich sehen lassen kann.“ – „Und jetzt? Mein Job langweilt mich, mit dem Mann, neben dem ich täglich aufwache, verbinden mich im besten Fall freundschaftliche Gefühle ...“ – „Sorry, Baby, aber das ist schon einmal soviel mehr, als viele Menschen von sich behaupten können. Freundschaft ist die große Schwester der Liebe – vielleicht nicht ganz so verführerisch, aber weitaus verlässlicher.“ – „Geht dir der Liebesirrsinn nicht manchmal ab? Mein Gott, Drama kann ja so sexy sein.“ – „Doch, es war himmlisch, zu sechzig Prozent. Der Rest war Hölle.“ Ich lud sie auf eine Reise durch meine Falten ein und erzählte ihr von den dazugehörigen Dramödien und Herren. Natürlich waren all diese Katastrophen aus der Distanz betrachtet zum Schieflachen. Weil man sich so oft völlig freiwillig zum Vollidioten gemacht hat. Weil man sich häufig aus Verzweiflung so viel schön geredet hat, was eigentlich potthässlich war. Egal. Hauptsache, man hat mit 120 Sachen in der Kurve gelebt. Und seine Risikofreude nicht auf der Ersatzbank sitzen gehabt. „Von deinem Optimismus könnt' einem schlecht werden“, sagte die Feldmaus jetzt und lächelte.www.pollyadler.at polly.adler@kurier.at
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