„Gar nichts erlebt, auch schön“

Die Langeweile ist ja laut Wissenschaftlern der Humus aller Einfälle.
Polly Adler

Polly Adler

Könntest du bitte einmal ausführlich unter der Hand verblöden

von Polly Adler

übers Nichtstun

Zeit. Du Luder! Ich mache es mir gerade in einem Mini-Sabbatical gemütlich. Bei dessen Antritt lag die Zeit vor mir wie der Ozean – grenzenlos und tief. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass jemand bei meinem Zeitdepot auf die Fast-Forward-Taste gedrückt hat. Und ich träume noch immer von Sonntag auf Montag davon, dass ich in der Redaktionskonferenz sitze und keinen brauchbaren Geschichtenvorschlag für die kommende Woche dabei habe. Von Donnerstag auf Freitag, unserem Schlussredaktions-Tag, träume ich davon, dass es bereits Mittag ist, ich von meiner Covergeschichte erst zwei Absätze geschrieben habe und nicht weiter weiß. Das Komische: Ich liebe meinen Job. Nur irgendwann hat das Hirn offensichtlich die Nase voll von dem Dauerstress, von den Jahrzehnten im Hamsterrad, dem allwöchentlichen Turnen auf der Deadline und flüstert einem: „Teuerste, ich habe diese ständigen Adrenalin-Blasen bis hierhin – könntest du bitte einmal die Wolken betrachten, langsame Russen noch langsamer lesen, Marillenknödel modellieren und dir einfach einmal ganz ausführlich unter der Hand verblöden?“ Ich gehorche jetzt meinem Hirn, das sich in der terminbefreiten Langeweile pudelwohl zu fühlen beginnt. Die Generation des Fortpflanz hat – vielleicht aus Rebellion gegen unsere Emsigkeitsneurosen – den Motor schon jetzt auf Chill-Modus gestellt. Vielleicht haben sie mit diesem präventiven Schongang auch irgendwie recht. Kreativitätsforscher halten die Langeweile in ihrem wortwörtlichen Sinn übrigens für den Humus aller Einfälle. Das möge man diesen Bobo-Eltern, die ihre Brut mit ständigem Selbstverwirklichungs-Terror zwischen Baby-Yoga und Ausdruckstöpfern torpedieren, hinter die Ohren malen. „Gar nichts erlebt. Auch schön“, notierte ein junger Mann in seinem Tagebuch am 13. Juli 1770. Er hieß Wolfgang Amadeus Mozart.

Tipp: Polly Adler liest morgen, 30. Juli, auf der Wiener Summerstage,
Eintritt frei.


www.pollyadler.at
polly.adler@kurier.at

Kommentare