Digitales Debakel

Als ich mir Kommunikations-FKK verordnete.
Polly Adler

Polly Adler

Ich hatte mich in ein Hotel in der Steiermark verdrückt, weil ich den Kopf frei kriegen wollte. Das Handy hatte ich vor dem Einchecken weit von mir geworfen. Am Anfang köpfelte ich noch immer wieder in die Handtasche, wenn an einem der Nachbartische im Restaurant das sattsam bekannte Tonsignal „Zauberklingel“ ertönte. Man musste sich erst einmal an dieses Kommunikations-FKK gewöhnen, schließlich war man darauf konditioniert, 24/7 erreichbar zu sein. Und im Zehn-Minuten-Takt seine Mails, Facebook-Likes, Twitter-Responses und Instagram-Followers zu überprüfen. Sollte ich zur Beruhigung Zöpfchen in meine Wimpern flechten oder mir ein Mandala-Malbuch besorgen, um das Trauma, ohne digitale Nabelschnur auf diesem Erdrund durchhalten zu müssen, überwinden zu können? Die härteste Entzugsphase dauerte ungefähr einen Tag, dann machte ich Dinge, die ich schon lang nicht mehr getan hatte. Ich starrte Stunden auf den See und hatte dabei null Bedürfnis, die neuesten Strand-, See- und Schlachtplatten-Ansichten jener Menschen unter die Lupe zu nehmen, mit denen ich schon auf Facebook nichts und im Leben noch weniger zu tun hatte. Ich beobachtete Paare, die beim Frühstücksbuffet mit Selfie-Sticks Usies produzierten, um diese Lebensdokumente im Schweinsgalopp zu posten. Danach setzten sie sich, jeder mit seinem vertrottelten Smartphone an den Tisch, um ausgiebig nicht miteinander zu reden. Und ihre weltbewegenden Nachrichten zu durchforsten. Wahrscheinlich werden sie im Laufe des Tages noch Herzchenzierleisten rausjagen. „Ich habe niemanden besonders lieb“, schrieb Joseph Roth. Und in diesem Speisesaal, in dem das Debakel digitalen Lebensstils auf dem Silbertablett zu beobachten war, musste ich dem großen Meister der Misanthropie leider recht geben.

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