Die Qual der Wahl

Polly im Hinterhof der Macht
Polly Adler

Polly Adler

Erstmals sehe ich den Zahntechniker aus nächster Nähe. Ich stehe hinten im Backstage-Bereich der blauen Cowboys für den kleinen Mann, weil ich den Auftrag habe, auf Stimmungsfang für mein Magazin zu gehen. Bevor der Zahntechniker auf die Bühne geht, jazzt er sich hinter dem Vorhang hoch. Atmet sich den sichtlich ermüdeten Körper auf Stahlfeder-Spannung und zurrt das Siegerlächeln fest. Der Frontmann einer Band, dem Idiom nach aus deutlich unbebautem Kärntner Gebiet, singt noch etwas von Heimat, Herzen und Schollenschönheit. Der Marktplatz ist voll von Menschen, deren Hautbild von transfettreicher Ernährung und einem Vitaminmangel an Hoffnung erzählt. Alles wummert in einem beklemmenden Wir-Gefühl. Aus dem Obergeschoss einer Pizzeria klappert das Personal rhythmisch mit Kochtöpfen, um den Zahntechniker zu übertünchen. Nach ein paar Minuten resignieren sie. Auch das Transparent „Ausländer – lasst uns nicht allein mit den Österreichern!“ wird aus einem Gemeindebaufenster bald wieder eingezogen. Die Anarchie macht heute Frühschluss. Die jungen Hilfs-Cowboys hingegen vibrieren voller Respekt für die eigene Bedeutsamkeit. Eine Frau im Publikum knufft mich und schreit: „Sing mit, du Tussi, oder geh' wieder ham nach Hietzing.“– Ich knuffe zurück, weil mit Feinsein macht man hier null Meter und will sowas sagen wie „Halt den Suppenschlitz, aber chello, du Rose aus Rudolfsheim!“ Erst jetzt sehe ich, dass die Dame, die ihren BH offensichtlich zu Hause vergessen hat, einen Kampfhund an der Leine hält. Ich gurre ihm zu: „Brav ist er, der Bub, na so ein braver Bub. Wie heißt er denn?“ Die Rose knurrt fast versöhnt: „Hassan.“ Doch schon rutscht die Stimmung wieder ins Bodenlose, denn jetzt sage ich: „Sehe zwar kein Smartphone, ist aber sicher ein Wirtschaftsflüchtling.“

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