Attacken auf die Lebenszeit

Mir ist jetzt bereits EM-übel.
Polly Adler

Polly Adler

Ja, ja, jetzt werden sie bald alle wieder auf den Plan treten, die Modephilosophen, Popliteraten, Ausdruckskabarettisten, Experten für eigentlich eh alles und Stand-Wixer und mir erklären, dass Fußball nicht mehr und weniger ist als ein Gleichnis für den Weltenlauf, eine Meta-Parabel auf das Universum, ein bedeutsames Ventil für identitätsstiftenden Patriotismus und ein Austragungsort für verdrängte Gefühle unter Männern. Mir wird bereits jetzt schon schlecht, obwohl ich noch 69-mal schlafen darf, ehe die Welt rundum rund wird. Ja, ich weiß, als Frau sollte man sich gegen die frauenüblichen Klischees stemmen – also Wodka statt Prosecco trinken, nicht in Hysterieexplosionen ausbrechen, wenn man anständiges Schuhwerk sieht, beherzt bohren, nicht weinen, sondern es lächerlich finden, wenn Julia Roberts, inklusive Bambiblick und espenzitternden Lippen, in irgendeinem Tussi-Schinken von Herrn Right ins Happyend geführt wird. Und eben Fußball cool finden. Und zwar nicht auf der Basis, dass man den Herren vor dem Schirm Schnittchen und gekühlte Getränke reicht, sondern ganz autonom mitzittert, leidet und auch fachsimpelt: „Hearst, dort ist das Türl, ihr Blindgänger!“ oder „Unsexy, dieses Defensivverhalten der Italiener.“ Aber es wäre geheuchelt. Mir ist grenzenlos langweilig, wenn 22 Menschen gefühlte 10 Stunden über einen Rasen hoppeln, um eine Lederkugel ohne Hände in eine Netzsache zu bringen. Ich kann die Aufregung einfach nicht nachvollziehen. „Alles andere ist primär.“ (©Hans Krankl) Denn merke: „Je länger das Spiel dauert, desto weniger Zeit bleibt. (©Marcel Reif). Als Fußball-Dauergelangweilte wird man sich im Juni/Juli eben Stickarbeiten widmen, Hortensien beflüstern oder sonst was Sinnvolles machen. Ganz im Sinn eines großen Fußballphilosophen und Freiheitstheoretikers, der da sagte: „Ein Lothar Matthäus braucht keine dritte Person. Der kommt sehr gut allein zurecht.“

polly.adler@kurier.at

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