Adieu, Onkel Lut!

Polly wünscht sich eine Portion Engelsgeduld.
Polly Adler

Polly Adler

Irgendwann, werde auch ich endlich eine gute Tochter sein müssen.

von Polly Adler

über Familie und alt werden

Heute haben wir meinen Onkel begraben. Es war für alle ein Gefühl der Erleichterung, dass er endlich gehen hatte können, denn seine letzten Monate waren ein echtes Martyrium gewesen. Alles, was ihn ausgemacht hatte, war ihm durch seine Krankheit auf so grausame Weise in immer schnelleren Schritten genommen worden. Woher die Pflegerinnen in dem Caritas-Heim ihre Engelsgeduld und zärtliche Empathie für ihre Schützlinge nehmen, wird mir immer ein Rätsel bleiben. Man fühlt sich sehr klein und schäbig, wenn man ihnen beim Versorgen zusieht. Mein Vater stand mit roten Augen da, als der Sarg in die Gruft glitt. Jetzt lag seine ganze Herkunftsfamilie da unten und er musste sich mit uns begnügen. Einen kurzen Blick konnte ich auf meine Oma werfen, der ich zuflüsterte: „Jetzt kannst du endlich wieder auf dein Burschi aufpassen.“ Und wie immer, in solchen endgültigen Momenten, fetzte einem wieder die Kindheit durch den Kopf. Mein Onkel hatte mir als Säugling das Leben gerettet, denn irgendwas hatte ich in der Wiege verschluckt, so dass ich schon ziemlich schlumpffarbig angelaufen war, als er mich durch Mund-zu-Mund-Beatmung wieder ins Leben zurückschoss. Ich hatte mich nie dafür bedankt. Auch dafür schämte ich mich. Noch habe ich Glück und meine Eltern twisten, zwar schon etwas zerzaust, aber doch durch ihren Spätherbst. Aber irgendwann werde auch ich endlich eine gute Tochter sein müssen. Vielleicht können mir die Caritas-Feen schon jetzt eine fette Portion Engelsgeduld rüberschieben. „Du wirst immer keine Zeit haben“, ätzt das Mütterchen schon einmal, „und selbst zu deinem eigenen Begräbnis zu spät kommen.“ Solang sie nörgeln kann, ist sie „in full swing“, was anstrengend, aber auch beruhigend ist. Und ich beschloss, dass die Herausforderung 2018 sein wird, die nahen Menschen so zu lieben, wie sie sind. Bei mir werden sie nämlich auch keine andere Option haben. Deal?Buchtipp:Amourhatscher“ (bei Amalthea) – ein „Best of“ aus 20 Jahren Chaos de luxe.www.pollyadler.at polly.adler@kurier.at

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