Freundlichkeitsparadoxon
Unfreundlichkeit hat längst die kritische Masse der gesellschaftlichen Akzeptanz erreicht.
Eigentlich ist es ja genial. In Wien gehört das Grantlertum zum guten Ton, sogar im Ausland gilt es als Teil des Charmes. Man schnauzt den Nachbarn an? Sorry, ich bin Wiener. Man matschgert in einer Tour? He, Lokalkolorit. Das befreit offenbar von schlechtem Gewissen und gutem Benehmen.
Doch leider macht diese Eigenschaft nicht an der Landesgrenze halt. Unfreundlichkeit hat längst die kritische Masse der gesellschaftlichen Akzeptanz erreicht.Doch nicht mehr mit mir.
Der Tag, der mich zu einem höflicheren Menschen machte, war ein sonniger Samstag. Ich stand an der Supermarktkassa. In der Schlange neben mir eine Frau um die 60. Grantiger Gesichtsausdruck – meinem vor dem ersten Kaffee nicht unähnlich. Doch beim verkniffenen G’schau blieb es nicht. Nach der ersten Schimpftirade, die sich über die arme Kassierin ergoss, mischte sich ein Mann ein. "Was sind's denn gar so garstig. Die ist doch eh freundlich", nickte er in Richtung der jungen Frau. Na, mehr hat er nicht gebraucht. "Freundlich bin ich selber", brüllte sie durch den Raum. Trotz grober Zweifel wagte niemand, der Frau zu widersprechen. Danach war die Laune dahin – bei der betroffenen Angestellten, ihren Kollegen, den Kunden, bei mir.
Denn so ist es: Unfreundlichkeit breitet sich aus wie eine Seuche. Vergiftet die Stimmung, ist hochansteckend. Und mitunter gefährlich. Denn, wer sich schon an der Supermarktkassa nicht im Griff hat, hat das im Auto schon lange nicht. Da wird die Straße zum Ventil, im Schutze der Anonymität (wer merkt sich schon Kennzeichen?) wird gedrängelt, geschnitten, rechts überholt und der Mittelfinger gezeigt. Ich weiß es, ich pendle jeden Tag.
Stress ist ein schlechter Ratgeber, was zwischenmenschliche Beziehungen betrifft. Dabei ist Freundlichsein eine Entscheidung. Die ich nun für mich getroffen habe. Laut einigen Untersuchungen gibt es zahlreiche Vorteile: Man erhält Höflichkeit retour (kann ich leider noch nicht bestätigen), man schläft besser, man ist gesünder.
Und man landet seltener vor Gericht: Na, wenn das nichts ist.
eMail: katharina.zach@kurier.at
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