Feinripp

Johannes Weichhart

Johannes Weichhart

Es existieren Fotos von mir, die mich in abgeschnittenen Jeans zeigen, mit Radlerhose darunter, hochgezogenen weißen Socken und einem Batik-T-Shirt, das ausschaut, als wäre mir die Füllfeder ausgeronnen. Ich halte diese Aufnahmen, die in den frühen 1990er-Jahren bei einem Griechenland-Urlaub entstanden, an einem geheimen Ort in Niederösterreich unter Verschluss. Und selbst wenn mich Verhörspezialisten des Mossad in die Mangel nehmen, werde ich dieses Versteck nicht preisgeben. Niemals. Unter keinen Umständen.Womit Sie, liebe Leserinnen und Leser, schon bemerkt haben dürften, dass ich mich heute einem Thema nähern will, von dem ich null Ahnung habe. Macht nichts, denn in Sachen Mode reden ja oft auch jene mit, die sich anziehen, als wären sie morgens in den Kleiderschrank gestolpert. Interessant finde ich jedenfalls, dass die Sandalen-Socken-Träger noch nicht ausgestorben sind. Denn kaum hat die Frühlingssonne uns heuer erstmals glücklich gemacht, habe ich schon die ersten Exemplare dieser Spezies durch St. Pölten schlurfen sehen. Wobei mich ein Kollege darauf aufmerksam gemacht hat, dass in dieser Saison statt weißen Tennissocken eher Exemplare in beige bevorzugt werden. Macht es auch nicht besser.

Das Feinripp-Shirt wird ebenfalls von so manchem wieder freudig aus dem Schrank geholt, aber in weiterer Folge nicht seinem eigentlichen Verwendungszweck zugeführt: Es ist ein Unterhemd! Man will stattdessen jedem lieber ungefragt die Muckis zeigen, die man sich so hart im Fitnessstudio erarbeitet hat. Oder den speienden Drachen, den man sich auf das Schulterblatt tätowieren hat lassen.

Sollten Sie, angestachelt von dieser kritischen Modekolumne, mit dem Gedanken spielen, Ihren Kleiderschrank neu auszustatten, werfen Sie das alte Gewand nicht weg. Die Caritas, hat mir kürzlich ein Mitarbeiter erzählt, freut sich immer über Bekleidung, die sauber und gut erhalten ist. Denn es gibt noch immer Menschen, die fast nichts zum Anziehen haben. Nicht einmal ein Feinripp-Shirt.

eMail: johannes.weichhart@kurier.at

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