Infantil und bedenklich autoritär
Die erste, enttäuschende (Zwischen-) Bilanz liegt vor: Der Zulauf zu den Corona-Massentests ist gering. Dass so manches Bundesland, in dem die Tests gerade angelaufen sind, von zwischenzeitlich regem Interesse berichtet, ändert an diesem Urteil nichts. In Wien – und nein, nicht nur dort – blieb man klar hinter den Erwartungen zurück. 204.880 Menschen ließen sich bis inklusive Samstag testen, geplant waren immerhin 1,2 Millionen. Diese Zahlen sprechen eine klare Sprache.
Das lässt einen Schluss zu: Die Österreicher sind in Sorge vor dem Virus. Aber weniger vor seinen gesundheitlichen Folgen – sondern mehr vor seinen sozialen und beruflichen. Im Klartext: Viele verweigern die Teilnahme, weil sie wissen, was droht, wenn sie (symptomlos) positiv getestet werden. Sie müssten in der hektischen Vorweihnachtszeit in Quarantäne. Das heißt auch: keine Möglichkeit, letzte Geschenke zu besorgen und Erledigungen zu machen. Oder – für viele im Berufsleben – Ausfälle bei der Belegschaft oder weniger bis gar keine Einkünfte. Die Kinder können (erneut) nicht in die Schule. Das schreckt ab. Die Zahlen, die aus den Tests an die Öffentlichkeit dringen, sind zudem geeignet, das eigene Gewissen zu beruhigen: Quer durch die Länder wird weniger als ein Prozent der Teilnehmer positiv getestet. Dass die Tests in großer zeitlicher Distanz zum Weihnachtsfest stattfinden und keine Sicherheit dafür bieten, die Oma unterm Baum nicht anzustecken, ist ein weiteres Argument. All das mag man – mit erhobenem moralischen Zeigefinger – verantwortungslos finden. Überraschend ist das Verhalten nicht. Es entspricht der menschlichen Natur. (Dass die Teilnehmerzahlen dort steigen, wo man die Anmeldung abschafft, bietet einen weiteren Einblick in die menschliche Psyche. Wir leben in Zeiten der Unverbindlichkeit.)
Wie enttäuschend die Ergebnisse sind, zeigt sich an den PR-Maßnahmen der Politik. Wenn sich der rote Wiener Bürgermeister und der türkise Kanzler, die beide üblicherweise körperliches Unwohlsein befällt, wenn sie nur im gleichen Raum sein müssen, gemeinsam testen lassen, schwingt Verzweiflung mit. (Dass sie dachten, sie könnten damit jemanden zum Testen bewegen, ist zugleich ein Indiz für Selbstüberschätzung und Eitelkeit.) Um ein Debakel zu verhindern, setzt die Regierung jetzt auf Zuckerbrot und Peitsche: Geschenke über 50 Euro für Testwillige hier, Testpflicht für bestimmte Berufe und stark betroffene Gebiete dort. Wer ausschert, muss ganz zu Hause bleiben. Klingt infantil und bedenklich autoritär zugleich – und könnte deshalb funktionieren. Der Mensch ist ja – siehe oben – oft sehr simpel gestrickt.
Ob das Vorhaben gelingt, entscheidet sich auch daran, ob die Regierung es schafft, es gesetzeskonform umzusetzen. Auch diesbezüglich darf man nach neun Monaten Pandemie eine Bilanz wagen. Erneut überwiegt die Enttäuschung.
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