Im Wettlauf gegen die Zeit

Der Countdown von Sotschi läuft: für die Sportler, aber auch für die vielen Arbeiter. Und er läuft immer schneller.
Stefan Sigwarth

Stefan Sigwarth

Ein Kollege verlor seinen Zimmerschlüssel. Die Rezeption ließ die ganze Tür austauschen

von Stefan Sigwarth

über die Situation in Sotschi

Hast du ein Zimmer?“ So lautet einer der meistgehörten Sätze von Journalisten in der olympischen Region um Sotschi. Lautet die Antwort „Ja“, folgt die Frage: „Und, wie ist es?“

Beide Fragen sind mehr als gerechtfertigt. Denn nicht immer bekommt man, was vor knapp einem Dreivierteljahr bezahlt worden ist. Das Team des US-Nachrichtensenders CNN zum Beispiel hat elf Zimmer gebucht und nach einem Tag Wartefrist immerhin schon eines beziehen dürfen. Das ist keine Seltenheit: „Wir sind jetzt am vierten Tag schon im vierten Hotel“, berichtet ein deutscher Kollege. Und Herr N. aus Tirol fand zwar ein Zimmer vor, dafür waren Spiegel und Fernseher kaputt. Da konnte er sich freilich noch glücklich schätzen, denn drei der neun Medienhotels waren auch am Mittwoch noch nicht fertig.

Aber was heißt schon fertig? Fertig kann hierzulande heißen, dass zehn Arbeiter den Zustand der Fertigkeit eines bereits bezogenen Zimmers vorantreiben. Gleichzeitig.

Fertig kann auch heißen, dass Wasser fließt. Kaltes Wasser zum Beispiel, aber immerhin sauber und aus der Leitung, dafür gibt es halt kein warmes Wasser. Oder es gibt zwar kaltes und warmes Wasser, dafür aber in Farbvariationen von Gelb bis Braun. Oder es fließt Wasser, allerdings aus der Decke.

Auch andernorts gibt es Fertigkeiten. So kann es passieren, dass die Stiege zum Hoteleingang gesperrt ist, weil gerade die vor sich hinbröckelnden Fliesen ausgetauscht worden sind. Weil der frische Fliesenkleber bei Nachtfrost aber nur schlecht aushärtet, ist die Stiege länger außer Betrieb. Dieses Hotel ist übrigens seit Sonntag fertig und in Betrieb.

Andere Hotels, andere Sitten: Ein Kollege verlor seinen Zimmerschlüssel. Die Rezeption ließ die ganze Tür austauschen. Einem anderen, der ein Appartement für sich und drei Kollegen gebucht hatte, wurde ein wildfremder Gast als Mitbewohner zugeteilt. Die durchaus verständliche Reklamation hatte zur Folge, dass Beschwerdeführer W. vom Sicherheitsdienst an die frische Luft hinauskomplimentiert wurde.

Wo die Zeit an so vielen Orten knapp wird, muss zwangsläufig andernorts wieder Zeit hinzukommen. Dazu empfiehlt sich eine Fahrt mit einem der zahllosen Busse – denn nicht überall, wo Ziel A draufsteht, wird dieses auch erreicht. Kollegin P. beispielsweise kehrte soeben von einem Termin zurück. „Ich hab’ den Bus genommen“, erklärte sie, noch leicht außer Atem. Der Bus fuhr am Ziel (=Medienzentrum) vorbei und danach weiter talauswärts, nur durch ihr beherztes Eingreifen konnte sie den Fahrer dazu bewegen, das Fahrzeug zu stoppen und sie aussteigen zu lassen.

Damit gewann P. neben der Freiheit Zeit und auch Muße: für einen viertelstündigen Fußmarsch entlang der viel befahrenen Hauptstraße.

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