Hochgejazzt und niedergemacht

Die politischen "Krisen" in Europa haben auch viel mit Personenkult und Antikult zu tun.
Andreas Schwarz

Andreas Schwarz

Was ist da los? Da hat Europa grad die monatelang hochgeschriebene Gefahr der rechtspopulistischen Übernahme abgewendet. Und dann stürzt ein Land nach dem anderen in die Krise: In Österreich wird Ende September gewählt. In Deutschland wohl auch bald, die Große Koalition ist am Ende. Die Briten haben (k)eine Premierministerin und jede Menge politisches Chaos. Die Griechen wählen, die Tschechen protestieren ihren Premier weg, und Italiens Regierungschef ist eine Marionette seines Innenministers, der ebenfalls Wahlen will.

Jetzt lassen sich politische Krisen selten über einen Kamm scheren. Oft aber haben sie schon mit den handelnden Personen und den Erwartungen in sie zu tun – gerade in Zeiten der vermeintlichen Superstars auf dem politischen Parkett. Tschechiens Anti-Establishment-Messias hieß vor Kurzem noch Andrej Babiš, nun ist er entzaubert. Wer redet heute noch von Beppe Grillo und seinen Fünf Sternen, die Italien in eine bessere Zukunft leuchten sollten? Auch Alexis Tsipras – mit dem politischen Scharlatan Yanis Varoufakis einst Held nicht nur der griechischen Linken – ist bald weg vom Fenster. Gerade noch Emmanuel Macron trotzt den Gelbwesten in seinem Land, aber der Lack des französischen JFK ist ab.

Unter Wert geschlagen

Genauso, wie Polit-Stars über die Maßen und die (sozialen) Medien hochgejazzt werden, wie das heute heißt, werden sie auf der anderen Seite unter Wert geschlagen. Andrea Nahles, an der sich das Dilemma der deutschsprachigen Sozialdemokratie manifestiert, war nicht so schlecht, wie sie gemacht wurde – so wie ihr Vorgänger Martin Schulz, der vom gehypten Messias zum politischen Lulu degradiert wurde, kein Trottel war.

Und apropos, mit Blick auf Österreich: Auch Pamela Rendi-Wagner ist politisch und inhaltlich vermutlich ein bisschen behänder, als es die Auftritte der zu Tode gecoachten SPÖ-Vorsitzenden vermuten lassen. Und Sebastian Kurz erlebt gerade die Häme des politischen Gegners, den der Shootingstar-Status des Ex-Jungkanzlers zur Raserei getrieben hat.

Krise? Vielleicht haben die vielen vermeintlichen Krisenfälle zumindest eine gemeinsame Lehre: dass politische Entwicklungen wie neue Gesichter, alte Konflikte, zerbrechende Koalitionen und Orientierungssuchen, Neuwahlen und Aufbrüche viel gelassener zu betrachten wären, als das in unserer hyperventilierenden Zeit der Fall ist. Zumal das Jammern über die „Krisen“ und die politischen Zustände in unserem Teil Europas eines auf allerhöchstem Wohlstandsniveau ist.andreas.schwarz

Kommentare