Grundsatzgedanken zum Europatag
Wir dürfen nicht in die Fehler unserer Vorväter verfallen
Begriffe können einen auch erschlagen: TTIP, Troika, Grexit, Brexit. Ortsnamen auch: Brüssel, Schengen, Maastricht. Da schwingt Fremdbestimmung mit.
Wir fühlen: Es geht über unsere Köpfe. Wir haben nichts mehr zu sagen. Sind wir nicht das Volk? Wir werden wohl noch unsere Grenzen sichern dürfen. Was die Nationalstaaten besser regeln können, gehört zurück nach Wien, London und Berlin. Und die Agrarpolitik machen wir auch besser ganz alleine. Egal, was in den europäischen Verträgen steht. " Europa der Vaterländer" heißt das dann charmant – und die Verfechter der Idee des geeinten Europas, einer starken Europäischen Union schauen alt aus.
Aber es ist eine Falle. Denn es geht nicht um "Europa" per se, also die EU an sich; nein, es geht um uns selbst. Was wollen die BürgerInnen, was ist den Menschen wichtig, was erwarten sie vom Staat, von den Regierungen – und wer kann das leisten? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen, in der Woche zum "Europatag".
Allein gegen alle
Sind die Fragen, die die Menschen bewegen, von den kleinen und mittleren Staaten Europas alleine zu bewältigen? Gibt es sie noch, die "nationale Umweltpolitik"? Forschung nur mehr national? Können wir uns Österreicher auf uns allein gestellt durchsetzen gegen die geballte Kraft der starken Volkswirtschaften Asiens, gegen China, Japan, auch gegen die USA?
Oder fahren wir nicht doch besser – und sicherer! – im Verbund, in einer Union der 28, mit seinen 520 Millionen Konsumenten? Unzulänglichkeiten, ja Defizite an Effizienz, auch an Demokratie sollten kein Grund sein zu spalten, zu zerstören, sondern das Gebäude der Europäischen Union zu verbessern, zu renovieren.
Die Rückbesinnung auf das Nationale ist gefährlich. Das lehrt die Geschichte. Wir dürfen nicht in die Fehler unserer Vorväter verfallen und neue Grenzen bauen, wo mühsam errungen dank des Binnenmarktes der EU heute die Freiheit des Waren,- Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs gilt. Und die Personenfreizügigkeit.
Die Krise der Politik, das schwindende Vertrauen der BürgerInnen in die Entscheidungsträger ist verständlich. Allein dies ist kein hinreichender Grund der radikalen Rechten auf den Leim zu gehen, die heute nach dem Rückbau des europäischen Projektes rufen. Die Arbeit am gemeinsamen Haus Europa hingegen bietet die Chance die großen Fragen, die uns alle unter den Fingernägeln brennen, zu lösen.
Projekt an der Kippe
Was die Generation unserer Großväter in den 50ern aufgebaut hat – die europäische Gemeinschaft als Friedensprojekt – steht heute an der Kippe. Nicht Spaltung und Rückzug ins Kleine sind die Lösung, sondern das Inklusive, das Gemeinsame. Die EU ist weiterhin Garant für sozialen Zusammenhalt, wirksamen Konsumentenschutz, eine funktionierende Verkehrspolitik, und fairen Handel mit den Partnern in Amerika und Fernost.
Die Identität, Heimat verschwindet nicht im größeren Europa. Und erst im Verbund einer starken Europäischen Union ist es möglich, gegenüber dem Rest der Welt zu bestehen, eigene Interessen durchzusetzen. Dies muss am heutigen Europatag die Botschaft sein.
Michael Reinprecht war Diplomat,und zuletzt Leiter der Nahostabteilung im Europäischen Parlament.
Kommentare