Das war beim Klimaticket für den Öffentlichen Verkehr so, als sie gezielt Zwischenschritte öffentlich machte, um noch ausständige Bundesländer wie Niederösterreich oder Wien unter Druck zu setzen. Mit Erfolg – das Klimaticket ist zur fixen Einrichtung geworden. Oder beim Thema Straßenbau. Da wurden über Nacht Großprojekte wie der Lobautunnel oder die Marchfeld-Schnellstraße einer Evaluierung unterzogen und danach de facto gestoppt. Verbunden mit Gewesslers Kalkül, dass die ÖVP deswegen die Koalition nicht aufkündigen wird. Die darauf folgenden politischen und rechtlichen Proteste aus den Bundesländern und aus der Wirtschaft blieben zahnlos und prallten an ihr ab. Wenn es aber gar nicht anders geht, ist sie auch zu Kompromissen bereit. Hauptsache, das Ziel wird erreicht. Das Aus für Öl- und Gasheizungen ist ein Beispiel dafür.
Leonore Gewessler ist so zu einem Aushängeschild der Grünen geworden. Die Klimaschützer verehren sie, sprechen von ihrer grünen Handschrift in der Koalition. Für all jene, denen die Klimaschutzvorschriften zu weit gehen, ist sie zur Reizfigur geworden. Das gilt auch für den politischen Gegner und Teile des Koalitionspartners ÖVP. Ihr Bekanntheitsgrad kann sich jedenfalls mit jenem von ihrem Parteichef Werner Kogler messen.
Die Grünen hat das konsequente – irgendwie auch egoistische – Handeln ihres Aushängeschilds jetzt aber in ein Dilemma gestürzt. Da Parteiräson für Gewessler weniger zählt als die Macht, etwas verändern zu können, muss Werner Kogler nun für die EU-Wahl 2024 eine neue Spitzenkandidatin suchen. Dabei wäre die Ministerin für ihn ideal gewesen, da sie mit ihrem Bekanntheitsgrad den Grünen im Juni zu einer gelungenen Generalprobe für die Nationalratswahl im September verhelfen hätte können – obwohl sie in der Gesellschaft ungemein polarisiert. Aber einer Leonore Gewessler ist es eben zu wenig, künftig „nur“ eine Abgeordnete im EU-Parlament zu sein. Wenn schon ein Wechsel nach Brüssel, dann hätte sie bei den europäischen Grünen eine entscheidendere Rolle spielen wollen. Bei ihren Wählerinnen und Wählern wird sie das keine Sympathien kosten, bei ihren Parteifreunden allerdings schon.
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