Israel-Kontroverse und ESC-Votingsystem: Änderungen werden kommen

Ich war 1999 in Jerusalem zum ersten Mal beim Eurovision Song Contest. Israel richtete ihn aus, nachdem Dana International, die erste transsexuelle Kandidatin, 1998 gewonnen hatte, zum ersten Mal auch mit Televoting. Der Wettbewerb war damals noch kleiner: Da es noch keine Halbfinals gab, gab es 23 Teilnehmer, verglichen mit 37 heuer in Basel. Israel und die Palästinensergebiete waren noch nicht durch Mauern getrennt, man konnte von Jerusalem aus Tagesausflüge in palästinensische Städte, auch Gaza, unternehmen. An der Schwelle zum neuen Jahrtausend gab es große Hoffnungen auf Frieden im Nahen Osten.
Und es gab große Hoffnungen in den ESC. 1999 wurde eine Regel eingeführt, die Teilnehmern verbot, den Ruf des Wettbewerbs zu schädigen. So sollte der ESC als Marke beschützt werden, da die European Broadcasting Union (EBU) versuchte, die Veranstaltung durch Sponsoring, Merchandising und öffentlichen Ticketverkauf kommerziell rentabler zu machen. Die Halle in Jerusalem hatte eine Kapazität von 3.000 Sitzplätzen, jene in Stockholm im Jahr darauf schon 13.000. Die größere Reichweite auch im TV machte den ESC zur begehrteren Plattform für politische Stellungnahmen, was sich im Social-Media-Zeitalter noch verschärfen sollte.

"Professor Song Contest" Dean Vuletic
Unpolitisch ausgerichtet
Später wurde die Regel angewendet, um die Politisierung des von der EBU als unpolitisch ausgerichteten Wettbewerbs zu steuern. Die Organisation musste die Auswirkungen internationaler Krisen auf den ESC im Zuge der Ausweitung nach Osteuropa bewältigen – insbesondere im Hinblick auf Spannungen zwischen Kiew und Moskau, die dazu führten, dass die EBU Russland nach dem Einmarsch in die Ukraine 2022 ausschloss.
In den letzten zwei Jahren drehte sich die größte politische Kontroverse beim ESC um Israel. Die Kampagne für einen Ausschluss hatte jedoch bereits 2019 begonnen, als der Bewerb in Tel Aviv stattfand, nur eine Woche nachdem palästinensische Kämpfer Raketenangriffe auf Israel gestartet hatten. Damals boykottierte kein Land den Bewerb. Doch die Forderungen nach einem Ausschluss Israels verschärften sich parallel zum israelischen Krieg im Gazastreifen, der auf die Hamas-Angriffe auf Israel am 7. Oktober 2023 folgte.
Als ich vor zwei Wochen nach Basel reiste, fiel mir auf, dass die pro-palästinensischen Proteste deutlich kleiner waren als im vergangenen Jahr in Malmö, als Tausende auf die Straße gingen. Doch als ich das Finale live verfolgte, spürte ich, wie die Spannungen wieder aufflammten, als Österreich und Israel um den Sieg wetteiferten. Das Publikum hatte Israel während der Show nicht stark ausgebuht, jubelte aber im knappen Finale lauter für Österreich und seinen letztendlich siegreichen JJ. Ein israelischer Sieg hätte zu einem weiteren ESC in Israel geführt, den einige Länder bei einer Fortsetzung des Gazakrieges wohl boykottiert hätten. Es ist unwahrscheinlich, dass sie den Wettkampf im neutralen Österreich meiden werden.
Ausschluss Israels unwahrscheinlich
Dennoch wird die EBU weiterhin unter Druck gesetzt, Israel auszuschließen, wie es auch JJ in den letzten Tagen kontrovers gefordert hat. Ein solcher Schritt ist unwahrscheinlich, solange es weiterhin keine europäischen Sanktionen gegen Israel gibt, wie es sie gegen Russland gab. Die EBU ist kein politischer, sondern ein technischer Zusammenschluss (idealerweise unabhängiger) nationaler öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten wie dem ORF sowie der israelischen KAN, die die EBU vor Eingriffen der Netanjahu-Regierung geschützt hat. Diese Sender bestimmen nicht die Außenpolitik ihrer Länder, und die EBU hat kein politisches Mandat, gegen Länder vorzugehen, die nicht im Rahmen internationaler Sanktionen stehen.
Dennoch werden die EBU-Mitglieder wahrscheinlich Änderungen am Votingsystem durchsetzen, nachdem eine israelische staatliche Werbeagentur in diesem Jahr eine Kampagne zur Stimmenmaximierung durchgeführt hat. Eine mögliche Änderung könnte die Regel betreffen, die es jedem Zuschauer erlaubt, 20 Mal per Televoting abzustimmen. Dies erhöht die Gewinne, erhöht aber auch das Potenzial für politische Manipulation. Als das Televoting erstmals eingeführt wurde, konnte ein Zuschauer nur eine Stimme abgeben.
Der EBU ist es immer wieder gelungen, die Regeln anzupassen, um den bald 70 Jahre alten Wettbewerb zu retten. Doch die jüngste Kontroverse in der Geschichte des ESC wirft ein Schlaglicht auf ein weniger als die politischen Krisen diskutiertes Thema: die Auswirkungen der zunehmenden Kommerzialisierung des Wettbewerbs seit der bahnbrechenden Ausgabe 1999 in Israel.
Zum Autor:
Dean Vuletic forscht zu europäischer Zeitgeschichte und ESC („Professor Song Contest“); lehrte in Wien, derzeit an der Universität Luxemburg.
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