JJ und seine "Privatmeinung": Verschwendete Liebesmüh’?

Nicht einmal eine Woche ist vergangen, seit JJ die ESC-Trophäe „hoam“ brachte – da fielen am Mittwoch im Gespräch mit spanischen Zeitungen Aussagen, die für den ORF nun den größtmöglichen „Schas“ darstellen. Der junge Sänger mit der hohen Stimme, der davor nur über seinen Sieg und die weitere Karriere tirilierte, schlug plötzlich knallharte politische Töne an. Und die sind derart, dass sich selbst Bundespräsident Alexander van der Bellen nun zu Wort gemeldet hat.
Der Zeitung El País sagte der 24-Jährige: „Ich würde mir wünschen, dass der Eurovision Song Contest nächstes Jahr in Wien stattfindet und ohne Israel.“ Er sei „sehr enttäuscht, dass Israel noch an dem Wettbewerb teilnimmt“. Aber das könne nur die EBU, der Rundfunkverbund, der den Contest veranstaltet, entscheiden. „Wir Künstler können nur unsere Meinung dazu sagen.“
„Nur“ eine Meinung – viele Kommentatoren sahen das anders (siehe unten). JJ, mit bürgerlichem Namen Johannes Pietsch, äußerte darüber hinaus die Ansicht, dass das Votingsystem geändert werden müsse. „Heuer war alles sehr seltsam“, stimmte er in den Chor einiger Rundfunkanstalten, u. a. der spanischen RTVE, ein, das Voting zu überprüfen. Diese mutmaßen, „dass das Televoting durch die aktuellen militärischen Konflikte beeinflusst wurde“.
Israel, für das Yuval Raphael, eine Überlebende des Hamas-Massakers, gesungen hat, erhielt vom Publikum 297 Punkte (Österreich: 178) und rutschte vom 15. Platz im Jury-Voting auf Platz 2. Zum Vergleich: 2023 erhielt der unpolitische finnische Beitrag „Cha Cha Cha“ 376 Publikumspunkte.
„Im Fall Israel lege ich sehr viel Wert darauf, zwischen der unverrückbaren Haltung zum Staat Israel und jener zur aktuellen Regierung zu unterscheiden. Wir müssen uns immerzu bemühen, den Staat Israel zu unterstützen. Etwas anderes ist das Verhalten der Regierung Netanjahu speziell im Fall Gaza. Ich bin dagegen, eine Einzelperson bzw. einen Künstler für das Verhalten einer Regierung verantwortlich zu machen.“
Alexander van der Bellen, Bundespräsident
„Die Aussagen von JJ sind zutiefst befremdlich, zumal der ESC ein Fest des Miteinanders und der Freude ist. Unabhängig von völkerrechtlichen Fragen, ist Israel strategischer Partner für den Wirtschaftsstandort. Zudem sind in Zeiten von zunehmenden Antisemitismus alle gefordert, sensibel mit dem Thema umzugehen.“
Wolfgang Hattmannsdorfer, Wirtschaftsminister (ÖVP)
"Ich kann Ihrem Leser nur zustimmen, wenn er von einer ,gefährlichen politisch-historischen Naivität' schreibt. Diese ist aber gerade in der Generation von Johannes Pietsch derzeit leider nicht selten zu finden. Dem muss man sich stellen, und zwar, wenn es Erfolg haben soll, nicht durch sofortiges Ausschließen, sondern zunächst einmal durch Bestehen auf historischem Wissen und menschlichem Mitgefühl. Man könnte sagen: durch Aufklärung, zu der ich weiterhin meinen Beitrag zu leisten gedenke."
Staatsoperndirektor Bogdan Roščić antwortet auf eine Beschwerde eines KURIER-Lesers
„JJ rief nach dem ESC auf, Liebe zu verbreiten. Jetzt reiht er sich aber in den Chor der Israel-Hasser ein, macht israelische Opfer zu Aggressoren und spaltet. Das ist enttäuschend, aber vor allem gefährlich.“
Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde
„JJ ist ein großartiger Sänger – aber offenbar politisch gefährlich schlecht beraten. Wer Israel ausschließen will und mit Russland in einen Topf wirft und dabei mit keinem Wort den beispiellosen Terrorangriff der Hamas erwähnt, braucht keine Bühne, sondern dringend eine Geschichtslektion. Antisemitismus hat in Europa keinen Platz – egal, wie er sich tarnt.“
Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau Niederösterreichs (ÖVP)
„Die Aussagen unseres Songcontest-Gewinners JJ sind inakzeptabel. Israel aus dem ESC ausschließen zu wollen und es mit Russland gleichzusetzen, ist völlig verfehlt und geschichtsvergessen.“
Wolfgang Sobotka, Alt-NR-Präsident (ÖVP)
„JJ hat sich als möglicher Moderator aus dem Spiel genommen, soviel ist klar. Aber die Folgen werden weit heftiger sein, als es jetzt scheint: Nach der heftigen Kritik am politischen Einfluss auf das ‚völkerverbindende‘ Wettsingen könnte es zu einer Nachdenkpause kommen, in der der Modus des ESC komplett neu erarbeitet wird. Ich halte es sogar für möglich, dass die Austragung im kommenden Jahr in Wien wackelt.“
Martina Rupp, ORF-Star via Facebook
Vergleich mit Russland
Im Interview mit El Mundo ging Pietsch noch weiter, indem er Israel mit Russland verglich: „Es gibt ein Land, das teilnehmen darf, obwohl es sich im Krieg befindet, und Russland wurde genau deswegen ausgeschlossen. Warum macht man nicht dasselbe mit diesem Land?“ Etwas kryptisch fügte er hinzu: „Außerdem hat dieses Land den ganzen Wettbewerb lang versucht, zu provozieren, und keiner von uns verteidigt, was sie machen. Und das erscheint mir herzzerreißend.“ Im Video-Interview mit der Zeitung ABC bezeichnete Pietsch beide Länder, Russland und Israel, als „Aggressoren“.
Der Vorwurf berührt geopolitisch hochkomplexe Zusammenhänge und zog daher auch Kritik vonseiten der Politik nach sich. „Der Versuch einer Gleichsetzung von Russland mit Israel kommt einer Geschichtsfälschung gleich, die ich auf das Schärfste zurückweise“, sagte Alexander Pröll (ÖVP) als Staatssekretär für Kampf gegen Antisemitismus. Und: „Terror und Antisemitismus haben in unserer freien, pluralistischen Gesellschaft keinen Platz, genauso wenig wie Sympathien dafür.“
JJ meldete sich gestern Mittag über seine Plattenfirma Warner zu Wort: „Es tut mir leid, falls meine Worte missverstanden wurden. Obwohl ich die israelische Regierung kritisiere, verurteile ich jegliche Form von Gewalt gegen Zivilisten überall auf der Welt – sei es gegen Israelis oder Palästinenser.“ Und er fügt an: „Zu diesem Thema werde ich mich nicht weiter äußern.“
Für den ORF ist der Schaden aber bereits angerichtet. Die Debatte wirft einen Schatten auf die Vorbereitungen für den Song Contest im kommenden Jahr. In einer ersten Reaktion distanzierte sich der Küniglberg von den Aussagen und kennzeichnete sie als „Privatmeinung“. Der ORF verwies auf die EBU, diese habe „eindeutige Richtlinien, die Politik von Unterhaltung trennen. Sie ist die einzige Instanz, die über die Teilnahme oder den Ausschluss von Ländern entscheidet.“
Die EBU selbst verwies eher technisch darauf, dass Rundfunkanstalten und nicht Regierungen teilnehmen, diese seien dazu „berechtigt, wenn sie die notwendigen Voraussetzungen erfüllen. Es ist nicht unsere Aufgabe, Konflikte miteinander zu vergleichen.“ Man sei „nicht immun gegen globale Ereignisse“, aber es sei ihre „Aufgabe, sicherzustellen, dass der Wettbewerb im Kern ein universelles Ereignis bleibt, das durch Musik Verbindungen, Vielfalt und Inklusion fördert“.
Rund um Israel gab es aber ohnehin schon eine angespannte Debatte innerhalb der EBU. Diese wird durch die Aussagen JJs noch angeheizt. Nicht ausgeschlossen, dass sie nun eskaliert.