Zeit für eine neue Teilzeit
„Hört ihr mich jetzt?“ – Kaum ein Geschäftstag der Coronajahre kam ohne diesen Satz und den damit zum Ausdruck gebrachten Kampf gegen die kleineren und größeren Tücken der Technik aus, die mit dem branchenübergreifenden Umstieg auf Onlinemeetings einhergingen.
Und kaum ein Satz illustriert die mitunter rasanten Veränderungen in der Arbeitswelt so gut wie dieser. Seit im Jahr 1969 in Österreich das Arbeitszeitgesetz eingeführt wurde, haben sich nicht nur die Anforderungen an Arbeitnehmer, sondern vor allem die Anforderungen von Arbeitnehmern an ihre Arbeit grundlegend gewandelt.
Frauen wie Männer sind heute nicht länger bereit, den Beruf als einen isolierten Teil ihres Daseins zu betrachten, an dem sich alle anderen Lebensbereiche zu orientieren haben. Vielmehr wird Arbeit als einer von mehreren Bausteinen gesehen, der sich in ein harmonisches Gesamtbild des eigenen Lebens einfügen muss.
Untersuchungen zeigen, dass Menschen aus den unterschiedlichsten Motiven heraus – Kinder, Gesundheit, Pflege von Angehörigen etc. – gerne zeitweise ihre Arbeitszeit reduzieren möchten, ohne dabei einen Karriereknick zu riskieren oder ganz aus dem Arbeitsmarkt zu fallen.
Die klassische Teilzeit bildet diesen Wunsch in der Realität nicht ab, da mit ihr häufig ein beruflicher Abstieg einhergeht und die vormalige Position bei einem angestrebten Wiedereinstieg in die Vollzeit in der Regel bereits nachbesetzt wurde. Die von Arbeitsminister Kocher geforderte Schlechterstellung der Teilzeitarbeit bei gleichzeitiger Attraktivierung von Vollzeitarbeit entspricht also einer Sichtweise, die an der Lebensrealität der Arbeitnehmer vorbeigeht, was sich insbesondere in Zeiten des Fachkräftemangels als fatal erweist.
Die Lösung liegt also nicht in der Verteufelung der Teilzeit, sondern vielmehr in ihrer Weiterentwicklung: Jobsharing! Beim Jobsharing teilen sich zwei Menschen eine Vollzeitstelle, was die einfachste und schnellste Lösung darstellt, um die wachsende Nachfrage nach Teilzeitarbeit zu bedienen und trotzdem Vollzeitpositionen besetzen zu können. Dieses in der Schweiz und dem Vereinigten Königreich bereits erfolgreich etablierte Modell ermöglicht es Fachkräften, sich für eine gewisse Zeit verstärkt um andere Lebensbereiche zu kümmern, ohne dabei den Wunsch nach beruflicher Selbstverwirklichung zu vernachlässigen.
Somit ist der geteilte Vollzeitjob weit mehr als bloß die Summe aus zwei Teilzeitstellen; Jobsharing ist die konstruktive Synthese aus den Bedürfnissen der Menschen und der Wirtschaft.
Die heimische Politik ist nun gefordert, mit der Schaffung von entsprechenden arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen den Schritt in jene Arbeitswelt von morgen zu machen, in der sich die Menschen gedanklich bereits befinden. Teilzeit ist eine große Chance, man muss sie nur endlich neu denken.
Sigrid Uray-Esterer und Katharina Miller sind die Gründerinnen von „jobtwins.work“
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