Wozu Mathematik gut ist

Wozu Mathematik gut ist
Ein Plädoyer für eine vielseitige und faszinierende Wissenschaft

Debatte über die Matura: Die ungesunde Angst vor Mathematik.“ So betitelte Christoph Schwarz seinen klugen Leitartikel im KURIER vom 5. Mai.

Wobei ich meine, man sollte nicht von einer ungesunden, eher von einer unnötigen Angst vor der Mathematik sprechen. Hand aufs Herz: Das mathematische Wissen und Können, das die Gesellschaft bei den zentral vorgelegten Aufgaben der schriftlichen Reifeprüfung in Mathematik von den Maturanten (w/m/*) erwartet, sollte sich auf jene Kenntnisse konzentrieren, die lebensnah, handfest und unmittelbar verständlich sind.

Ein Teil des guten Mathematikunterrichts zielt darauf ab, die Fähigkeit zu vermitteln, souverän und wie selbstverständlich Aufgaben zu bearbeiten, die aus dem Wirtschaft- und Finanzwesen auf der einen Seite (modisch mit Financial Literacy umschrieben) und aus den Natur- und Lebenswissenschaften auf der anderen Seite stammen.

Nicht das aufwendig Übertriebene, sondern das naheliegend Wichtige thematisierend: So zeigte spätestens Corona, dass Wahrscheinlichkeiten oder exponentielles Wachstum verstanden werden sollen.

Aber noch einmal sei betont: Die meisten dieser Aufgaben haben – ähnlich wie das Prozentbeispiel – so elementar zu sein, dass ihre Bewältigung von allen erwartet werden kann („Mindeststandard“), und die restlichen anspruchsvolleren sollten von einem Großteil aller Kandidaten (w/m/*) problemlos gelöst werden („Regelstandards“). Maturanten (w/m/*), die mit ihrer Begabung und ihrem Fleiß die Abschlussklasse erreichten, mögen die schriftliche Mathematikmatura, wie in anderen Fächern auch, als Bestätigung ihrer Leistung betrachten. Nicht Angst, sondern freudige Erwartung ist angebracht.

Allerdings wäre es falsch, die gesamte Schulmathematik hierauf zu reduzieren. Ein anderer Teil des guten Mathematikunterrichts geht den mathematischen Objekten, den Zahlen und geometrischen Figuren, selbst auf den Grund. Der faszinierenden Welt ihrer Symbolik.

Allein die Tatsache, dass die Null etwas ist, das da ist, um zu zeigen, dass nichts da ist, regt zum Nachdenken an. Oder dass die gemeinsame Betrachtung der Gleichungen x=1 und x=0 zwar absurd ist, denn 1 ist niemals 0, aber dass man diese Absurdität zeichnen kann: zwei parallele gerade Linien, die einander „im Unendlichen“ schneiden – was aber ist dieses Unendliche?

Es ist höchst überraschend, dass die Mathematik, die sich solchen eigentümlichen Fragen widmet, die gleiche ist, die man im Sinne der Zentralmaturaaufgaben „zu etwas brauchen“ kann. Beide Teile des Mathematikunterrichts hängen zusammen. Und vor beiden braucht man sich nicht zu fürchten. Vor dem zweiten sogar noch weniger als vor dem ersten. Außer man hat Angst vor dem Denken.

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Bildungssprecher des ÖVP-Parlamentsklubs.

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