Woran sind Sie gescheitert?

Woran sind Sie gescheitert?
Der öffentlich-rechtliche Journalismus scheitert oft an der Objektivität

Landeshauptmann Schützenhöfer begründet zu Beginn des „ZiB 2“-Interviews seinen Rücktritt mit seinem Alter (70 Jahre). Daraufhin determiniert die Journalistin den Tenor des Interviews mit der Frage „Woran sind Sie gescheitert?“ Ähnliches in den Kurznachrichten im ORF im Jänner: „Metsola wurde gestern zur neuen EU-Präsidentin gewählt, obwohl sie Abtreibungsgegnerin ist.“ Auch damit wird eine negative Konnotation der Nachricht erreicht – noch dazu ohne Zusammenhang. Beide Beispiele erscheinen leider typisch für die Berichterstattung im zur neutralen Berichterstattung verpflichteten ORF.

Sie sind Ausdruck eines Haltungsjournalismus, dem Verwandten von Kampagnenjournalismus und Propaganda. Das ist jedenfalls kein Qualitätsjournalismus, einer bedrohten Art der Berichterstattung, der im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie auch privaten Qualitätsmedien aber unbedingt notwendig ist. Ganz abgesehen von der von Unterstellungen geprägten, Antworten suggerierenden, Frageweise mancher ORF-Titanen, die gerne auf eine bestimmte Antwort abzielen, was dem Grundsatz der offenen neutralen Fragestellung widerspricht. Dabei scheut man nicht vor aggressiven oder respektlosen Unterbrechungen zurück, erlaubt keine geschlossene Replik, die nicht einer bestimmten Ziel-Antwort entspricht.

Rund 99,5% der Bevölkerung haben keinen direkten Zugang zur Politik, über die bundesweit berichtet wird. Sie sind auf mediale Darstellung angewiesen. Darauf begründet sich deren Wissen über Zusammenhänge, Geschehnisse und begründet so die demokratische Einstellung und Willensbildung. Unsere Verfassung basiert auf drei Säulen: Legislative, Exekutive, Judikative. Die notwendige vierte Säule, die Informative – Voraussetzung für demokratische Wahlentscheidungen – ist darin nicht bedacht. Diese Säule hat kein Regelwerk entwickelt, das dem Anspruch, Verantwortung und deren Bedeutung für die Demokratie gerecht wird. Zurecht mahnt die Befürchtung vor Zensur hier zur Vorsicht. Aber JournalistInnen haben keine demokratische Legitimation, Politik zu gestalten. Dazu sind sie weder gewählt noch demokratisch beauftragt. Sie entfalten aber eine gestaltende Wirkung – so wie die anderen Säulen der Demokratie.

Es sind JournalistInnen, die das Bild der Demokratie, der Politik ausgestalten. Sie bestimmen die Auswahl der Information, das Material und Farben und deren Einsatz, mit dem sie dieses Bild malen. Das Bild ist kein erfreuliches. Das liegt sicher auch am zu malenden Objekt. Aber Sachlichkeit, Faktenorientierung und gegebenenfalls Neutralität, Merkmale des Qualitätsjournalismus, kommen hier immer seltener zum Einsatz. Als Maler sind sie daher wesentlich für dieses Bild verantwortlich und sollten sich selbst fragen: „Woran sind Sie gescheitert?“

Johannes Thun ist systemischer Coach und war Gründer von Radio Energy Wien

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