Wie(n) im Sudan?

Wie(n) im Sudan?
Die absurden Thesen zur Besetzung des Stadtstraßenbaus

Seit Monaten besetzen Aktivistinnen und Aktivisten die Baustelle der so genannten Stadtstraße in Wien-Donaustadt. Formaljuristisch stellt dies zumindest eine Besitzstörung dar. Als die Stadt Wien nun die Besetzer und einige Sympathisanten mittels Anwaltsbrief auf die rechtlichen Konsequenzen ihres Tuns hinwies, brach ein Sturm der Entrüstung los.

Die Betroffenen fielen aus allen Wolken und wollten und konnten es einfach nicht wahrhaben, dass ihr Tun für sie persönlich möglicherweise teure Konsequenzen haben könnte. Umgehend solidarisierten sich die üblichen Verdächtigen und sprachen von unerträglichen Einschüchterungsversuchen.

Offensichtlich ist die Stimmung unter den Klimabewegten so aufgeheizt, dass man jede Form von Widerspruch als persönliche Beleidigung und Angriff auf die Demokratie klassifiziert. Bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz diverser Nichtregierungsorganisationen schoss dabei die Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich den kommunikativen Vogel ab: Sie verglich die Vorgangsweise der Stadt Wien (einen informierenden Anwaltsbrief zu schicken) mit jener im Sudan. Dort würden missliebige Kritiker des diktatorischen Regimes ebenfalls mit konstruierten Gerichtsverfahren mundtot gemacht und eingeschüchtert.

Keiner der mit am Podium sitzenden NGO-VertreterInnen (von Greenpeace abwärts) fand es notwendig, diesen ungeheuerlichen Vorwurf entgegenzutreten. Offensichtlich wird das Infragestellen rechtsstaatlicher Institutionen in Österreich schulterzuckend akzeptiert, wenn es der eigenen Position dienlich scheint. Es wurde der Eindruck vermittelt, dass österreichische Gerichte auf Zuruf der politischen Mächtigen willkürlich Verfahren durchführen und Urteile fällen würden.

Die Rechtsstaatlichkeit in Österreich und das Vertrauen in unabhängige Gerichte wurde stattdessen in postdemokratischer und postfaktischer Querdenker-Manier unwidersprochen in Frage gestellt.

Dabei müsste es gerade eine Institution wie Amnesty International besser wissen. Nicht umsonst gibt es etwa den jährlich erscheinende Rechtsstaatlichkeitsindex des World Justice Project. Mit den darin erhobenen länderspezifischen Daten wird ein umfangreicher zwischenstaatlicher und globaler rechtsstaatlicher Vergleich ermöglicht. Der diesjährige Rechtsstaatlichkeitsindex deckt insgesamt 139 Staaten und Gebiete ab und enthält einen globalen Überblick über aktuelle, die Rechtsstaatlichkeit betreffende Entwicklungen sowie detaillierte Länderkapitel. Das nicht wirklich überraschende Ergebnis: Österreich liegt weltweit auf Rang 9, der Sudan abgeschlagen auf Rang 116. Wie kann man angesichts dieser Tatsachen also unwidersprochen behaupten, Wien läge – was die Menschenrechte angehe – eher am Nil als an der Donau?

Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

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