Wie braun ist bunt?
von Andrea Drumbl
Der Hans war noch jung, als er im Zweiten Weltkrieg eingezogen wurde, um die zwanzig, am Anfang seines Lebens. Er war der gefallene Bruder meiner Großmutter und der rebellischste aller Geschwister, jeder liebte seine Originalität. Er war der Faxenmacher in der Familie.
Als die Nazis an die Macht kamen, war der Hans noch der Überzeugung gewesen, dass jeder Mensch das Recht auf Freiheit hatte, denn für den Hans selbst war die Freiheit von großer Bedeutung. Je länger jedoch die Nazis an der Macht waren, umso mehr verfiel er deren Propaganda und bald schon besaß der Hans eine Ideologie, für die er zu Felde ziehen wollte.
Wie es zu dieser Ideologie gekommen ist, lässt sich mit heute vergleichen: Der Hans hatte eine Leidenschaft, für die er bereit war zu kämpfen. Auch wenn seine Ideologie anfangs eine ganz andere war, keine menschenverachtende, ließ er sich von den damaligen Unsicherheiten und der allgemeinen Aufbruchstimmung einfangen. Immer mehr verfiel er der deutschnationalen Ideologie, den scheinbar harmlosen Aktionen, die der NS-Kriegs- und Vernichtungsmaschinerie zuspielten. Eine militante Neigung war Voraussetzung für sein Mitläufertum.
Der Hans bezeichnete sich selbst nicht als Nazi, trotzdem tat er, was alle anderen auch taten. Er verfiel mehr und mehr dem Eifer eines Regimes, welches er in dessen Anfängen verwerflich gefunden hatte.
Die Einberufung kam für den Hans nicht überraschend, viele seiner Kameraden kämpften schon im Krieg und der Hans freute sich, endlich dazuzugehören. Er träumte davon, Heldentaten zu vollbringen und dafür ausgezeichnet zu werden. Er wollte mindestens eine Heldentat vollbringen und jeder im Ort würde dann über ihn und seine Heldentat sprechen und seine Auszeichnung bewundern. Er wollte jeden Feind, der sich ihm in den Weg stellte, erschießen. Weglaufen wollte er vor keinem. Der Hans fühlte sich mächtig, obwohl er noch nie in einem Krieg gewesen war und seine Mutter beim Abschied weinte.
Heldentaten hatte der Hans im Kampf keine vollbracht, Auszeichnungen hatte er auch keine bekommen. Das Einzige, was von ihm gekommen ist, waren die Feldpostkarten von der Front. Die Feldpost war im Zweiten Weltkrieg ein nicht unwesentlicher Teil der Wehrmacht, der vor allem die Funktion der Kontrolle und Sicherung innerhalb der militärischen Dienste innehatte. Zensiert wurden in erster Linie regimekritische Äußerungen. Die Feldpostkarten vom Hans waren die einzigen Nachrichten für die Familie und sie waren sehr positive. Er schickte zum Beispiel auf Birkenrinde gemalt „recht fröhliche Ostergrüsse aus dem russischen Urwald“, während er mit seinem Bataillon bei der Schlacht am Wolchow kämpfte. Ein paar Tage vor seinem 29. Geburtstag starb der Gefreite Hans an der Ostfront. Einzig die Birken „aus dem russischen urwald“ sind mit ihren verletzbaren Rinden nicht gestorben und tragen die Nachrichten bis heute mit sich, denn jede Aktion, die das Recht auf politische und menschliche Freiheit infrage stellt, ist heute mehr denn je gefährlich und bedroht die Demokratie eines Landes aufs Äußerste.
Andrea Drumbl ist Schriftstellerin (u. a. Roman „Die Einverleibten“)
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